05. September 2023 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Es klingt wie ein Binsenweisheit: Der THW Kiel ist eben nicht der TBV Lemgo, den der VfL Gummersbach zum Auftakt der neuen Saison in der Schwalbe-Arena zu einem 30:27-Sieg niedergerungen hatte. Entsprechend musste jedenfalls den Realisten im Oberbergischen klar sein, dass für ein starkes Ergebnis im Norden mindestens sehr viele Puzzleteile an den richtigen Platz hätten fallen müssen. Dann und nur dann wäre die sehr optimistische Prognose von Kreisläufer Ellidi Vidarsson tragfähig gewesen: „Mit weniger Fehlern und einer noch besseren Abwehrleistung haben wir eine Chance, die zwei Punkte mit nach Gummersbach zu bringen.“ In beiden Bereichen war allerdings das Gegenteil der Fall – defensiv eingeschlossen die Torhüter Tibor Ivanisevic und Daniel Rebmann, die das Duell mit Kiels Thomas Mrkva auf der anderen Seite glatt verloren. Die 30 eigenen Treffer sahen immerhin ordentlich aus, zumal Linkshänder Giorgi Tskhovrebadze im Rückraum auf der rechten Seite fehlte, doch die 41 Gegentreffer müssen selbst in der Nachbereitung große Schmerzen bereiten. Im Vergleich zu den Schmerzen des Bergischen sind die Gummersbacher Sorgen allerdings eine nahezu sehr übersichtliche Kleinigkeit, obwohl die Mannschaft von Trainer Jamal Naji am zweiten Spieltag nur eine Niederlage mit einem Treffer Differenz hinnehmen musste. Das wäre angesichts eines knappen 27:28 bereits ärgerlich genug, bekommt allerdings mit dem Blick auf den Gegner noch mal eine andere Dimension: Der BHC scheiterte schließlich am Aufsteiger HBW Balingen-Weilstetten und er hat nun den Start in die Saison 2023/2024 in den Sand gesetzt. Nach dem 30:31 zum Auftakt beim ThSV Eisenach, der in der zurückliegenden Saison als Zweiter der 2. Bundesliga den Sprung ins Oberhaus geschafft hatte, gab es nun beim Auftakt zu Hause wieder keine Punkte – wobei zu Hause wohl sowieso der falsche Ausdruck ist, weil das Duell mit Balingen in Wuppertal über die Bühne ging. Grund: Die Solinger Klingenhalle steht jetzt für Spiele der höchsten deutschen Klasse nicht mehr zur Verfügung.
Knapp 120 Sekunden durften die Gummersbacher hoffen, über die Distanz mithalten zu können, als Julian Köster mit dem 1:1 (1.) und Tilen Kodrin mit dem 2:2 (2.) jeweils den Ausgleich erzielten und Milos Vujovic per Siebenmeter zum 3:2 (2.) die Führung nachlegte. Der Rest des Abends bot in der Folge eine allgemeine Chancenlosigkeit des VfL, der mit seinen offensiven Versuchen an der Kieler Wand zu zerschellen drohte. Das 3:3 (3.) durch den Strafwurf von Niclas Ekberg ging später als Startschuss zu einem 9:0-Lauf des Deutschen Meisters ein, der beim Stande von 11:3 (11./wiederum nach einem Ekberg-Siebenmeter) entschlossen bereits die Weichen für den späteren Sieg gestellt hatte. Gummersbachs Coach Sigurdsson konnte kaum fassen, wie sich seine Abwehr in diesen nicht einmal acht Minuten in Einzelteile zerlegen ließ: „Wir sind wirklich in jede Falle reingelaufen, die der THW uns gestellt hat.“ Dass die defensive Arbeit des Favoriten ein echt ungewöhnliches Niveau erreicht, belegte das Lob von Trainer Filip Jicha – der ja beim Rekordmeister immer extrem hohe Ansprüche zu stellen pflegt: „Was ich in den ersten 15 Minuten, was die Abwehr angeht, gesehen habe, das war wie aus dem Lehrbuch. Das habe ich in dieser Form noch nie gesehen.“
Gummersbach robbte sich in der ersten Halbzeit immer wieder auf fünf oder sechs Tore heran – wie mit dem 16:22 (30.) von Tilen Kodrin unmittelbar vor der Pause. Im zweiten Durchgang schien die Tür nach dem 19:26 (36.) sogar wieder einen Spalt weiter aufzugehen, denn der VfL verkürzte zunächst auf 21:26 (38.). Anschließend vergaben die Gäste zwei Gegenstoß-Chancen, bevor sie durch Kodrin (41.) und Ellidi Vidarsson (42..) dennoch auf 23:26 herankamen. „Das war eigentlich ein Wunder heute“, räumte Sigurdsson ein, dessen Team kurz darauf erneut den Anschluss verlor – und besonders ab dem 27:31 (48.) das nächste Mal nur eine Statistenrolle hatte – 28:36 (53.), 29:36 (55.), 29:40 (58.), 30:41 (60.). „Nach dem 27:31 geben wir einfach auf“, sagte der VfL-Trainer – darüber nicht gerade begeistert. Seine Konsequenz aus dem Abend, der phasenweise eine Lehrstunde war: „Wir müssen daraus lernen und uns auf das nächste Spiel vorbereiten.“ Darin wird am Mittwoch die mit 4:0 Punkten aus zwei Siegen ausgestattete TSV Hannover-Burgdorf überprüfen, ob und wie die Gummersbacher in dieser Hinsicht einen Schritt vorangekommen sind.
Der BHC, der intensiv auf die beiden ersten Punkte gehofft hatte, musste sich vornehmlich im Laufe der zweiten Halbzeit vorkommen, als sei er im falschen Film gelandet. Grundsätzlich durften die Gastgeber für die Partie gegen den Bundesliga-Rückkehrer doch als Favorit gelten – trotz der einen oder anderen personellen Baustelle (Fußbruch Elias Scholtes, Fußverletzung Eloy Morante Maldonado, Muskelfaserriss Aron Seesing, Tomas Babak und Tom Kare Nikolaisen angeschlagen), die den Kader am Ende deutlich dezimierte. Weil dann tatsächlich nur neun Feldspieler an Bord gewesen wären, zogen die Gastgeber kurzfristig sogar Ivo Santos als Aushilfe für Kreis und Abwehr aus dem Regionalliga-Team hoch. Der 31-Jährige gab bei seinem Einsatz alles, konnte die bittere Niederlage aber nicht verhindern – wie auch Mads Andersen nicht, der erneut der beste Werfer des BHC war, zehn Treffer erzielte und nun mit insgesamt 16 Toren aus zwei Spielen unter den HBL-Torjägern immerhin die Nummer fünf ist. Vermutlich hätte der Däne allerdings lieber persönlich zweimal weniger getroffen und dafür mit der Mannschaft zwei Zähler mehr auf dem Konto.
Der BHC geriet zwar mit 0:1 (1.) in Rückstand, nahm jedoch bald das Heft in die Hand und legte drei Treffer zwischen sich und die Gäste – 6:3 (12.), 9:6 (17.). Aufs Balinger 12:12 (26.) antworteten die Hausherren bis zur Pause wirkungsvoll mit dem 15:12 (30.), ehe sie im zweiten Durchgang das 16:12 (33.) und 17:13 (35.) folgen ließen. Mit dem 21:16 (41.) durch Andersen standen sogar fünf Treffer mehr auf der Anzeigetafel und alles sprach hier für den BHC – der aber gründlich vom Kurs abkam und erkennen musste, warum sich Balingen selbst den Namen „Die Gallier“ gegeben hat. Weil das Team von Trainer Jens Bürkle trotz schwieriger Lage keineswegs aufgab und die Gastgeber gleichzeitig immer öfter falsche Entscheidungen trafen, kippte die Auseinandersetzung – 21:19 (43), 22:22 (47.), 22:24 (50.), 23:25 (53.). Mit dem 25:25 (56.) wiederum durch Andersen und mit dem 26:26 (58.) von Noah Beyer glich der BHC noch zweimal aus, doch die schnellen Gegentore zum 26:27 und 26:28 (jeweils 59.) innerhalb von ein paar Sekunden machten den Weg frei für die Gäste. Isak Person verkürzte auf 27:28 (60.) und kurz darauf scheiterte Lukas Stutzke bei seinem energischen Versuch unmittelbar vor dem Ende am Pfosten – womit die Niederlage amtlich war.
„Der HBW hat beim Stand von minus fünf eine tolle Moral gezeigt. Trotzdem dürfen wir – egal in welcher Besetzung – das Spiel nicht mehr hergeben“, stellte Jamal Naji fest, „wir müssen das Spiel in dieser Phase ziehen und daher möchte ich heute auch nicht gelten lassen, dass unser Kader aktuell dünn besetzt ist. Das ist zu einfach.“ Geschäftsführer Jörg Föste äußerte sich noch deutlicher: „Summa summarum muss man an der Stelle sagen, dass es nicht reicht, wenn zwei Spieler ihre Normalform erreichen mit Mads Andersen und Frederik Ladefoged. Der eine oder andere Spieler zeigt phasenweise noch, zu was er im Stande ist. Das reicht einfach in der Bundesliga nicht.“ Das dürfte dann in dieser Form auch für die bevorstehende Aufgabe am Mittwoch beim HC Erlangen gelten, der nach zwei Spieltagen ebenfalls bei 0:4 Punkten steht.
THW Kiel – VfL Gummersbach 41:30 (22:16).
VfL Gummersbach: Rebmann, Ivanisevic – Vidarsson (4), Kodrin (8), Vujovic (4/4), J. Köster (4), Häseler (3), M. Köster, Schluroff, Mappes (3), Pregler (1), Horzen (2), Styrmisson, Kiesler, Jansen (1), Zeman.
Bergischer HC – HC Balingen-Weilstetten 27:28 (15:12).
Bergischer HC: Rudeck, Johannesson – Beyer (1), Persson (1), Nothdurft (1), Weck, M’Bengue (3), Ladefoged (6), Andersen (10), Fraatz, Babak (2), Arnesson (1), Stutzke (2), Santos.