Regionalliga Nordrhein
Wahnsinns-Bonner klettern an die Tabellenspitze
Beim 25:16 in Refrath/Hand lässt die TSV nach der Pause nur drei Gegentreffer zu. Der bisherige Erste Remscheid verliert bei TuSEM Essen II mit 21:29.

Ich glaube es ja auch nicht: Aber Trainer Frank Berblinger ist mit seinen Bonnern tatsächlich auf Platz eins geklettert. (Foto: Thomas Schmidt)

HSG Refrath/Hand – TSV Bonn rrh. 16:25 (13:12). Die Liga staunt weiter über die TSV Bonn rrh. und am meisten wohl die Bonner über sich selbst. Das Team von Trainer Frank Berblinger, mit dem glasklaren und einzigen Ziel Klassenerhalt in die Saison gegangen, holte in Bergisch Gladbach im vierten Spiel den vierten Sieg nach dem 24:22 über den Bergischen HC II, dem 29:28 beim HC Weiden und dem 30:29 gegen die SG Langenfeld. Dass der Erfolg derart deutlich ausfiel, ließ sich am Ende der ersten Halbzeit nicht mal im Ansatz erkennen, weil die Hausherren mit dem neuen Trainer Kelvin Tacke ihrerseits knapp führten – was für niemanden besonders überraschend war. Nach der Pause traute in der Halle Steinbreche allerdings keiner mehr seinen Augen und für die Hausherren wurde es eine extrem bittere Angelegenheit, in der jeder Hinweis auf eine Tauglichkeit für die Regionalliga fehlte. Und klar: Die nun erreichten 2:6 Punkte und der elfte Platz lösen bei der HSG keine Begeisterung aus. In einer völlig anderen Welt bewegt sich dafür die TSV, die bei 8:0 Punkten sogar die zuvor ebenfalls verlustpunktfreie HG Remscheid an der Tabellenspitze ablöste – weil die Remscheider bei TuSEM Essen II mit 21:29 den Kürzeren zogen und nun bei 6:2 Zählern nur noch Dritter sind hinter dem Aufsteiger TSV Bayer Dormagen II (ebenfalls 6:2). „Ich bin selber noch perplex, was sich hier die zweite Halbzeit abgespielt hat“, fand Trainer Berlinger, „drei Gegentore in 30 Minuten habe ich auch noch nie erlebt und ich habe ja schon ein paar Spiele auf dem Buckel.“

Refrath legte das 3:0 (5.) und 6:3 (13.) vor, musste dann mit dem 7:7 (21.) und 8:8 (23.) jeweils den Ausgleich hinnehmen – und zog beim 11:8 (26.) und 12:9 (28.) wieder auf drei Tore weg. Bonn kassierte  kurz darauf nach dem 11:13 (30.) für fast 13 Minuten keinen weiteren Gegentreffer, kam selbst kurz vor der Pause noch zum 12:13 (30.) und drehte den Spieß dank seiner Beton-Defensive komplett um – 17:13 (43.). Fynn Natzke verkürzte für die gestraften und vor dem Tor längst verzweifelten Hausherren auf 14:17 (43.), ehe Niklas Funke nicht viel später zum 15:19 (48.) traf. Dass die gesamte Partie in der Folge nur sieben weitere Tore bot, interessierte die Bonner letztlich überhaupt nicht, zumal sie durch einen 6:0-Lauf auf 25:15 (60.) erhöhten. Dass Martin Mokris für die HSG auf den letzten Drücker einen Siebenmeter zum 16:25-Endstand verwandelte, war für sie am Ende nicht mal ein winziges Trostpflaster.

HSG-Trainer Kelvin Tacke zeigte sich hinterher nachdenklich: „Das war sehr ernüchternd. Wir haben eine super erste Halbzeit gespielt – und in der zweiten war unser Angriff nicht mehr existent. Das war eine peinliche Leistung. Wir haben vorne viel zu statisch agiert. Bei den vielen technischen Fehlern, die wir hatten, nur 25 Gegentore kassiert, haben wir in der Abwehr viel richtig gemacht. Für uns geht es jetzt darum, daran zu arbeiten. Ich dachte eigentlich nach den drei Spielen, dass wir einen Schritt weiter sind. Das ist ein sehr unangenehmer Rückschritt. Die Spieler müssen sehen, dass sie daraus ihre Lehren ziehen, und wir müssen sehen, dass wir wieder vernünftig Boden unter die Füße kriegen. Wir sind mitten im Abstiegskampf abgekommen.“ Kollege Berblinger wirkte heiter-gelöst: „Was sich nach der Pause abgespielt hat, kann man rational nicht wirklich erklären. Das war deckungsmäßig ein Spiel, wo die Jungs unglaublich geackert haben. René Krouß hinten im Tor holt dann auch noch freie Bälle raus. Wir sind sehr froh und glücklich, dass es so gekommen ist, und wir haben wieder zwei Punkte gesammelt. Das ist eine schöne Momentaufnahme.“

HSG Refrath/Hand: Krämer, Kierdorf – Schallenberg, Greffin, Geerkens (1), Funke (1), Georgi (2), Schrage (4), Kraus, Asselborn (1), F. Merz, M. Merz (2), Mokris (4/2), Natzke (1).

TSV Bonn rrh.: Krouß, Meissenburg – Schöneseiffen (3), Bullerjahn (2), Krohn (3), Behr (3), Wilhelms, Fischer (2), Santen, Worm (6/3), Windhorst, Bohrmann (2), Struif (4), Rohloff.

TuSEM Essen II – HG Remscheid 29:21 (11:11). Die Remscheider sind ihre Tabellenführung wieder los und sie belegen mit jetzt 6:2 Punkten über das etwas schlechtere Torverhältnis (plus drei) hinter dem neuen Überraschungs-Ersten TSV Bonn rrh. (8:0/alleine ungeschlagen) sowie dem Aufsteiger TSV Bayer Dormagen II (ebenfalls 6:2/plus sechs) den dritten Platz. Frustrierend war die Niederlage vor allem für den neuen HGR-Coach Nelson Weisz, der sich den späten Sonntag-Nachmittag an seiner früheren Wirkungsstätte definitiv ein bisschen anders vorgestellt hatte – und erleben/erleiden musste, wie der HGR die umkämpfte Partie nach der Pause aus den Händen glitt. Das entsprach auf der anderen Seite nachvollziehbar dem Willen des neuen TuSEM-Trainers Philipp Krüger (vorher Co-Trainer in der 3. Liga beim Longericher SC), dessen Mannschaft in der Saison 2023/2024 bislang einem festen Rhythmus folgt: Niederlage auswärts (28:35 bei Borussia Mönchengladbach), Sieg zu Hause (40:28 gegen HC Gelpe/Strombach), Niederlage auswärts (30:37 beim BTB Aachen), Sieg zu Hause (gegen Remscheid). Der Erfolg über die HGR befördert den TuSEM vom bisherigen Rang zehn immerhin auf Platz sieben (4:4 Punkte).

Größere Unterschiede zwischen den beiden Kontrahenten waren vor der Pause gar nicht zu erkennen. Essen schaffte ein 4:3 (13.) und die HGR antwortete mit dem 6:4 (16.). Übers 6:6 (17.) und 8:8 (20.) konnte sich bei wechselnden Führungen bis zum Ende der ersten Halbzeit auch niemand absetzen – 11:11 (30.). Einen ersten Hinweis auf den späteren Ausgang gab es kurz nach dem 13:12 (32.) für Remscheid, als Essen zuerst mit dem 14:13 (34.) antwortete und aus dem 14:14 (36.) durch drei Treffer in Folge sogar das 17:14 (40.) als bis dahin höchste Führung machte. Näher als auf zwei Tore wie beim 17:19 (44.) kamen die Gäste nun nicht mehr heran und durch die Vierer-Serie zum 23:17 (48.) bog Essen bereits mit deutlichen Vorteilen auf die Zielgerade ein. Spätestens mit dem 27:20 (55.) stand die Entscheidung fest – in einer bis zum Schluss von vielen Emotionen begleiteten Partie. Alleine in den letzten zehn Minuten gab es fünf Zeitstrafen (drei Essen, zwei HGR) sowie zwei Rote Karten (48./gegen Remscheids Julian Athanassoglou, 52./gegen Remscheids Ole Grewel).

TuSEM-Trainer Krüger war verständlicherweise mit den beiden Punkten sehr einverstanden, ordnete das Niveau der Partie aber eher als normal ein. „Wir haben ein Spiel mit einer hohen Fehlerquote auf beiden Seiten gesehen“, fand Krüger, „in der ersten Halbzeit haben wir auch zu viele freie Würfe vergeben und aus schlechteren Positionen den Abschluss gesucht. In der zweiten Halbzeit haben wir uns bessere Situationen herausgespielt. Dann musste Remscheid kurz vor Schluss reagieren und auf eine doppelte Manndeckung gehen – und das gibt relativ einfache Dinger für uns, dass du zu freien Abschlüssen kommst. Ich glaube, das war kein absolutes Top-Spiel, aber man hat zwei Abwehrreihen gesehen, die alles reinwerfen – wie jeder alles reinwirft. Am Ende ist es vielleicht das etwas glücklichere Ende für uns.“

TuSEM Essen II: Haberkamp, Solbach Domingo – Scholten (2), Frederic Neher (4/4), Schmidt (2), Lewandowski (4/3), Sayin, M. Stumpf (1/1), Ernst (3), Telohe (2), Schäfer, Weiss (3), Elsässer (2), Kostuj (6).

HG Remscheid: Conzen, Mathes – Jung (3), Taymaz (2), Pflüger, Klose, Vetterlein (2), Hertz (4), Stukalin, Handschke (5/2), Athanassoglou (1), Grewel (2), Rath (2), Sikic.