2. Bundesliga
Dormagens Reimer beim Siebenmeter eiskalt, Essen noch abgefangen
TSV Bayer gewinnt in der letzten Sekunde mit 35:34 in Dessau-Roßlau. TuSEM holt in Minden nach 22:20 "nur" ein 20:20.

Zieh doch! Regisseur Ian Hüter (mit Ball) holte durch seinen Einsatz nach dem Zuspiel von Sören Steinhaus wenige Sekunden vor Schluss jenen Siebenmeter heraus, den Jam Reimer anschließend zum Dormagener Siegtor in Dessau-Roßlau verwertete. (Foto: Michael Jäger)

Grundsätzlich waren bisher beide auf einer gemeinsamen Spur des eher Minimalistischen unterwegs und Siege mit mehr als 30 Treffern eher eine Rarität. Vor allem TuSEM Essen blieb sich in dieser Hinsicht auch am sechsten Spieltag in der Saison wieder mal selbst treu – und stellte sogar einen neuen Rekordwert für 2023/2024 auf, der vermutlich eine ganze Weile Bestand haben oder womöglich sogar die komplette Serie überdauern wird. Mit nur 22 Treffern etwas Zählbares einzufahren wie jetzt durch das 22:22 beim Bundesliga-Absteiger TSV GWD Minden, ist ein echtes Kunststück und selbst für die Essener ungewöhnlich. In der vorherigen Bilanz standen ein 23:36 beim ASV Hamm-Westfalen, ein 26:23 über den TSV Bayer Dormagen, ein 24:23 beim VfL Potsdam, ein 24:26 beim HC Elbflorenz Dresden und gewissermaßen als Leuchtturmprojekt das 31:28 zuletzt über den TuS N-Lübbecke. Zusammen mit dem Punkt aus Minden ergeben sich daraus der sechste Platz und 7:5 Zähler bei 150:158 Toren. Das heißt: Das Team von Trainer Michael Hegemann erzielt im Durchschnitt genau 25 Tore pro Partie, was der schlechteste Wert in der Liga ist, und muss auf der anderen Seite 26,33 Gegentreffer hinnehmen – was immerhin Rang drei für die gesamte Klasse bedeutet. In einer vergleichbaren Größenordnung war bis jetzt in der Regel der TSV Bayer Dormagen unterwegs – der allerdings mit dem am Ende dramatischen 35:34 im Spiel beim Dessau-Roßlauer HV am Sonntagabend viele bisher gültige Gesetze außer Kraft setzte. Sowohl die eigenen Tore als auch die Zahl der Gegentreffer lagen diesmal fast Lichtjahre über dem Durchschnitt und der schwungvolle Auftritt in Sachsen-Anhalt zahlte sich fürs Team von Trainer Matthias Flohr durch den Sprung auf Rang neun echt aus: Das Konto ist nun mit 6:6 Punkten ausgeglichen und das Torverhältnis mit 161:159 positiv. Defensiv liegt der TSV auf Essener Niveau (Durchschnitt 26,5), offensiv hat er TuSEM überholt (26,83). Was den Dormagenern im Kampf um den Klassenerhalt zusätzlich Mut machen wird: Sie waren in Dessau über weite Strecken erkennbar besser, gerieten auf der Zielgeraden noch einmal unter Druck – und zwangen irgendwie in der letzten Sekunde das Glück auf ihre Seite.

Die Gäste machten von der ersten Minute an den frischeren und wacheren Eindruck – mit einer intensiv-beweglichen Abwehr und einer konsequenten Verwertung der sich bietenden Chancen. Übers 4:2 (6.) und 7:3 (9.) blieb Dormagen immer vorne und weder der spätere 13:14-Anschluss der Hausherren (25.) noch deren 15:15 (29.) kurz darauf warf Flohrs Team nachhaltig aus der Bahn. Eher war das Gegenteil der Fall: Vor der Pause reichten dem TSV genau 80 Sekunden für drei Treffer zum 18:15 (30.) am Ende der ersten Halbzeit, ehe der zweite Durchgang eine vergleichsweise lockere Angelegenheit zu werden schien – 24:18 (39.), 27:23 (43.). Auch in der Schlussphase fand Dormagen etwa mit dem 32:29 (53.) eine passende Antwort, aber die Hausherren, gestützt auf ihren immer stärker werdenden Keeper Philip Ambrosius, ließen nicht locker und glichen dreimal aus – 32:32 (57.), 33:33 (58.), 34:34 (60.). Der finale Angriff gehörte nun allerdings dem TSV und Flohr rief seine Mannschaft zur letzten Auszeit zusammen. Ergebnis: Sören Steinhaus beförderte den Ball zum rechts durchbrechenden Ian Hüter – und die Unparteiischen entschieden auf Siebenmeter. Das war nun eine Sache für Jan Reimer, der bei bereits abgelaufener Spielzeit sicher zum 35:34 und zum in der Summe bestimmt nicht unverdienten Erfolg verwandelte. Ziel bei Team und Trainer: Die erkennbare Euphorie wollen sie nun mit ins Heimspiel am Samstag gegen den Tabellenzweiten SG BBM Bietigheim (10:2 Punkte) nehmen.

Essen und Gastgeber Minden produzierten im Vergleich von Anfang an auf deutlich niedrigeren Touren – wobei TuSEM nach dem 1:2 (4.) übers 3:3 (6.) regelmäßig vorlegte und sich gemeinsam mit den Hausherren trotzdem die eine oder andere totale Flaute leistete: So vergingen nach dem 11:10 (21.) sechseinhalb Minuten ohne jedes Tor, bevor Julius Rose mit dem 12:10 (28.) den nächsten Treffer auf die Anzeigetafel brachte, der gleichzeitig schon der Halbzeitstand war. Im Zeichen der Defensiv-Reihen stand später auch der zweite Abschnitt, den Essen beim 14:11 (35.), 17:15 (44.), 20:17 (53.) und 22:20 (56.) weiter anführte. Aus dem durchaus möglichen Sieg wurde jedoch auf der Zielgeraden doch nichts, weil Mohamed Amine Darmoul (Mindens bester Spieler) mit seinen Toren acht und neun auf 21:22 (59.) verkürzte und in der letzten Minute zum 22:22 ausglich. Trainer Michael Hegemann nannte in einer Essener Auszeit das Ziel: „Wir machen das Tor.“ Das stimmte wenig später tatsächlich, denn Alexander Schoss warf den Ball ins Netz – und hatte dennoch nichts davon. Weil die Unparteiischen in derselben Szene ein paar Meter daneben eine Stürmerfoul von Dennis Szczesny gesehen hatten, blieb es beim Unentschieden.

TuSEM-Torhüter Arne Fuchs, der nach seiner Einwechslung in gut 40 Minuten Spielzeit auf acht Paraden und eine Quote von 38,10 Prozent an gehaltenen Bällen kam, bemühte sich um eine sachliche Einordnung: „Hätte uns vorher einer gesagt, dass wir hier einen Punkt holen, hätten wir das wohl angenommen. Am Ende macht es Darmoul mit seiner individuellen Qualität sehr gut. Vielleicht ist die Punkteteilung wirklich noch gerechtfertigt.“ Trainer Hegemann richtete den Blick gleichzeitig schon wieder nach vorne. „Man muss das Ergebnis von zwei Seiten betrachten“, stellte der TuSEM-Coach fest, „hätte uns vor dem Spiel jemand gesagt, dass wir hier ein Unentschieden spielen würden, dann hätten wir das gerne mitgenommen. Nach dem Spielverlauf muss ich aber sagen, dass wir schon auch enttäuscht sind. Es spricht für den Charakter der Mannschaft, dass sich in der Kabine keiner so richtig über den Punkt gefreut hat, sondern sich eher über die vergebene Siegeschance geärgert hat. Aber mit zwei, drei Tagen Abstand werden wir begreifen, dass wir was richtig Gutes geschafft haben. Wir nehmen aus dem Spiel mit, dass wir auswärts gegen Spitzenmannschaften punkten können. Der nächste Schritt ist wieder ein Auswärtssieg.“ Weitergeht es zunächst am Freitag aber mit dem Heimspiel gegen den Aufsteiger EHV Aue (Rang 17/2:10 Punkte).

 

Dessau-Roßlauer HV – TSV Bayer Dormagen 34:35 (15:18). 

TSV Bayer Dormagen: Juzbasic, Simonsen – Reuland (6), Senden (4), Böhnert, Rehfus (1), I. Hüter (5), Reimer (5/5), Schroven (2), Strosack (3), P. Hüter (2), Träger, J.-Chr. Schmidt (3), Pauli (1), Steinhaus (3), Sondermann.

 

TSV GWD Minden – TuSEM Essen 22:22 (10:12). 

TuSEM Essen: Fuchs, Diedrich – Ellwanger, Wolfram, Wilhelm (2), Homscheid (6/5), Eißing, Szczesny (3), Seidel, Klingler (2), Neuhaus (3), Rose (1), Mast (2), Werschkull, Schoss (3).