1. Bundesliga
Zeit für Typen: Rebmanns Geste und Andersens Lücke
VfL-Keeper korrigiert beim 34:31 in Balingen eine Schiedsrichter-Entscheidung. Däne des BHC verwandelt späten Freiwurf zum 32:31 gegen Melsungen.

Ich schrei vor Glück: Gummersbachs Keeper Daniel Rebmann sammelte in Balingen nicht wenig gute Paraden – und noch mehr Sympathiepunkte. (Foto: Thomas Wirczukowski)

Plötzlich haben beide – was vor Kurzem noch außerhalb des Wirklichen und Möglichen lag – den Spektakel-Handball für sich entdeckt. Beispiel VfL Gummersbach: Am 14. September verliert das Team von Trainer Gudjon Valur Sigurdsson mit 27:33 ausgerechnet gegen den bis dahin sieglosen Bergischen HC. Kurz darauf steht fest, dass die Gummersbacher vorläufig auf ihren Regisseur Dominik Mappes (private Gründe) und auf Linkshänder Tom Jansen (verletzt) verzichten müssen. Bei 3:7 Punkten scheint sich tatsächlich so etwas wie eine Krise anzubahnen. Knapp vier Wochen und vier Pflichtspiele später hat sich die Lage im Oberbergischen aber ins glatte Gegenteil verkehrt. Erst befreit sich der VfL durch ein 31:29 beim TBV Lemgo Lippe aus der größten Not, ehe er mit dem 33:28 über den HC Erlangen nachlegt und kurz darauf durch den 44:27-Erfolg beim Drittligisten Interaktiv.Handball ins Achtelfinale des DHB-Pokals einzieht (am 12./13. Dezember). Zum vorläufigen Abschluss des bislang goldenen Monats Oktober gewinnen die Gummersbacher beim Aufsteiger HBW Balingen-Weilstetten mit ihrem Keeper Daniel Rebmann im Mittelpunkt nach einer abwechslungsreichen Partie mit 34:31, sodass ihr Konto auf Platz fünf noch vor den großen THW Kiel und SG Flensburg-Handewitt (beide 8:6 Punkte) plötzlich bei 9:7 Zählern steht und der Blick auf die nächsten Termine auf einmal viel mehr Spaß macht – unter anderem jener auf die Pokal-Auslosung am Montagabend. Im Grunde fehlen dem VfL jetzt nur zwei zusätzliche Erfolge zum Erreichen des Final-Four-Turniers am 13. und 14. April 2024 in Köln.

Dasselbe gilt ja für den Bergischen HC, der mit vier Niederlagen und 0:8 Punkten einen äußerst unglücklichen Start in die neue Saison erwischte – 30:31 beim ThSV Eisenach (Aufsteiger), 27:28 gegen Balingen-Weilstetten (Aufsteiger), 27:28 beim HC Erlangen, 30:34 gegen Füchse Berlin. Dann hätte fast keiner der Mannschaft von Trainer Jamal Naji jene sehr starke Leistung beim Sieg in Gummersbach zugetraut, doch die Partie war ja erst der Anfang auf dem Weg mitten hinein in die Serie 2023/2024. Beim 29:31 gegen den Pokalsieger Rhein-Neckar Löwen boten die Solinger über weite Strecken erneut Überdurchschnittliches und sie kamen bis in die Schlussphase hinein für beide Punkte in Frage. Das folgende 28:33 bei der SG Flensburg-Handewitt, dem nächsten Gegner aus dem obersten Regal, hatte vor allem diesen einen Schönheitsfehler – denn es wäre mehr und zumindest ein knapperes Ergebnis möglich gewesen. Der BHC und dabei zuerst Naji beschlossen, daraus trotzdem Stärke zu ziehen und die Ruhe zu bewahren, was sich bereits mit dem ungefährdeten 35:27 in der dritten Runde des DHB-Pokals beim Zweitligisten HSG Nordhorn-Lingen auszahlte. Doch das Beste kam jetzt erst noch, als in der Wuppertaler Uni-Halle der bis dahin ungeschlagene Erste MT Melsungen zu Gast war. Auch diese am Ende echt dramatische Partie hatte einen Spieler, der im Mittelpunkt stand: Mads Andersen, der vor der Saison aus Bjerringbro-Silkeborg ins Bergische gekommene Neuzugang aus Dänemark.

Gummersbach beherrscht das Duell in Balingen nach dem 5:6 (10.) immer mehr, macht aus dem 11:10 (19.) durch vier Tore in Folge das 15:10 (23.) und sich bis kurz vor dem Ende der ersten Halbzeit mit dem 20:13 (29.) auf den Weg zu einem klaren Erfolg. Dagegen haben aber auf der anderen Seite die Hausherren etwas, die sich Stück für Stück heranarbeiten, und das Polster des VfL, der direkt nach der Pause aufgrund von Zeitstrafen (32./Julian Köster, 33./Miro Schluroff, 33./Milos Vujovic) vorübergehend nur drei Spieler auf der Platte hat, schrumpft – 18:21 (35.), 21:23 (42.), 23:25 (47.), 25:26 (47.), 26:28 (49.). Dann passieren beim Stande von 27:29 jene Szenen, von denen besonders eine nachhaltige Wirkung haben dürfte, und los geht es mit dem Versuch der Gäste, über einen Kempa-Trick zum Treffer zu kommen – bei dem Georgi Tskhovrebadze am Keeper der Hausherren scheitert (52.). Auf der anderen Seite taucht plötzlich Balingens Kreisläufer Tobias Heinzelmann frei vor dem Gummersbacher Kasten auf und trifft den Pfosten – von wo der Ball ins Seiten-Aus trudelt (53.). So sehen es auf die Schnelle die Gummersbacher und alle in der Halle, so entscheidet es auch der Tor-Schiedsrichter. Womit in diesem Augenblick keiner gerechnet hat: Gummersbachs Torhüter Daniel Rebmann klärt die Unparteiischen ruhig darüber auf, dass er nach dem Wurf von Heinzelmann noch mit einer Hand den Ball berührte habe. Folge eins: Es gibt den Einwurf für die Hausherren. Folge zwei: Rebmann, der Balingen damit die Gelegenheit gibt, doch auf 28:29 zu verkürzen, bekommt eine Menge Beifall für seine sportlich faire Geste. Dass die Mannschaft von HBW-Trainer Jens Bürkle ihre Gelegenheit kurz darauf dennoch nicht nutzen kann und vielmehr Milos Vujovic auf der anderen Seite auf 30:27 (54.) für die Gäste erhöht, ist im Übrigen immer noch nicht die Entscheidung. Die besorgen etwas später nach dem 30:29 (57.) erst Julian Köster mit dem 31:29 (57.) und anschließend Milos Vujovic mit dem verwandelten Siebenmeter zum 32:29 (59.). Mann des Abends ist und bleibt trotzdem Daniel Rebmann.

Der BHC führt gegen Melsungen nach einem guten Start mit 3:1 (4.) und bleibt bis zum 7:6 (10.) vorne, gerät aber durch vier Gegentreffer in Folge mit 7:10 (15.) ins Hintertreffen und hat vorerst viel Energie darauf zu verwenden, dass er überhaupt dranbleibt – 9:12 (18.), 11:14 (24.), 15:18 (30.). Nach dem 16:20 (32.) drehen die Gastgeber das Duell durch einen eigenen 5:0-Lauf zum 21:20 (38.) und das Wechselspiel setzt sich bis in die Schlussphase hinein fort – 25:26 (46.), 27:26 (48.), 29:30 (53.), 31:30 (57.). Fast drei Minuten lang bearbeiten sich beide Seiten intensiv, erzielen aber zunächst kein Tor mehr. Und plötzlich scheint sich die Waage ausgerechnet so kurz vor Schluss wieder auf die Seite der Melsunger zu neigen: Eloy Morante Maldonado muss für zwei Minuten runter und Rechtsaußen Timo Kastening nutzt die Überzahl zum 31:31 für den HC – als noch zehn Sekunden zu absolvieren sind. Logisch: BHC-Trainer Naji nimmt sofort eine letzte Auszeit, um mit seinem Team den finalen Angriff zu besprechen. Kurz darauf ist Tomas Babak frustriert, weil er sich fast durch die Melsunger Abwehr wühlen kann, die Unparteiischen jedoch erst sehr spät pfeifen und erst dann auf Freiwurf entscheiden, als die Spielzeit fast abgelaufen ist und die restlichen drei Sekunden aus Sicht der Hausherren viel zu schnell herunterticken. Aber klar: Jener Freiwurf ist noch auszuführen. Genauso klar: Melsungen stellt eine Abwehrmauer hin, mit den Längsten in der Mitte – mit dem Ungarn Adrian Sipos (1,98 Meter) und dem Letten Dainis Kristopans (2,15 Meter), die ihre Arme in die dritte Etage weit nach oben strecken. Wie soll das mit einem gezielten Wurf gehen? Mads Andersen, der sich die Nummer offensichtlich am ehesten zutraut, greift sich das Spielgerät – und er findet die Lücke, 32:31, der BHC gewinnt. Der Rest geht – obwohl bei 4:12 Punkten weiter der letzte Platz auf dem Konto steht – für diesen Augenblick in einer Jubel-Orgie unter. Das 34. Saisontor von Andersen war im achten Spiel das bislang wichtigste. Und selbstverständlich ist der 26 Jahre alte Däne der Mann des Abends.

 

Bergischer HC – MT Melsungen 32:31 (15:18). 

Bergischer HC: Rudeck, Johannesson – Beyer (1/1), Persson (1) Nothdurft (5), Weck, M’Bengue (1), Ladefoged (9), Andersen (4), Babak (3), Morante Maldonado (4), Stutzke (3), Santos, Seesing (1), Altena.

 

HBW Balingen-Weilstetten – VfL Gummersbach 31:34 (14:20). 

VfL Gummersbach: Rebmann, Ivanisevic – Vidarsson (2), Kodrin, Vujovic (6/1), J. Köster (7), Blohme (5), Häseler, M. Köster, Schluroff (1), Tskhovrebadze (2), Pregler (6), Horzen (5), Kiesler, Jansen,  Zeman.