Dormagen und das Wunder von Großwallstadt
TSV Bayer tut mit 34:32 beim TVG viel für mehr Sicherheit. TuSEM Essen ist nach 22:22 in Vinnhorst eher enttäuscht.

Wir machen uns breit: Torhüter Christian Ole Simonsen ist mit 23 fast schon einer der erfahreneren Dormagener – und Jan-Christian Schmidt (Nummer 42) mit 18 der drittjüngste im Kader hinter Felix Böckenholt und Frederik Sondermann (ebenfalls 18). Alle zusammen arbeiten am Dormagener Unternehmen Klassenerhalt mit. (Foto: Michael Jäger)

Das ist auch ein Rezept, um sich aus der größten Gefahr im Kampf um den Klassenerhalt zu befreien. Und die Mannschaft des TSV Bayer Dormagen ist offensichtlich gewillt, alles für den sportlichen Teil zur Rettung beizutragen. Die drei Siege vorher waren ein 35:29 über den Vorletzten TuS Vinnhorst (3:17 Punkte), ein 26:17 über den EHV Aue (Letzter/2:18) und ein 35:34 beim Dessau-Roßlauer HV (Drittletzter/7:13). Damit hatte die Mannschaft von Trainer Matthias Flohr in Duellen mit hinter ihr zu findenden Mannschaften bisher das Notwendige getan, um am Ende über dem Strich zu stehen. Es folgten drei klare Niederlagen – 35:40 gegen die SG BBM Bietigheim (Erster/16:4), 28:35 beim VfL Eintracht Hagen (Achter/10:10) am Anfang einer englischen Woche und 25:33 gegen die HSG Nordhorn-Lingen (Vierter/14:6) mittendrin. Nun ging es zum TV Großwallstadt – und das ohne den weiterhin verletzt fehlenden Abwehrchef Patrick Hüter (Leiste) und den erneut ausfallenden Alexander Senden, der gegen Nordhorn nach überstandenen Rückenproblemen in den Kader zurückgekehrt war und beim Comeback kurz vor der Pause erneut aussteigen musste (Fuß). Jetzt nutzte das junge Dormagener Aufgebot in Großwallstadt die praktisch kaum erkennbare Chance auf sehr beeindruckende Art, behielt in einer gerade gegen Ende extrem engen Partie Ruhe und Übersicht – und sicherte sich einen 34:32-Erfolg, der ebenso unerwartet wie genau deshalb doppelt wertvoll ist. Der TSV Bayer hat dadurch bis hierhin mehr als „nur“ seine Pflicht erfüllt und in der Summe ergeben sich aus den ersten zehn Spielen in der Saison 2023/2024 auf Rang 13 immerhin 8:12 Punkte – und damit ein für den Moment beruhigendes Polster auf Vinnhorst (3:17), das vor Aue (2:18) den ersten der beiden Abstiegsplätze einnimmt.

Gegen Nordhorn hatte Dormagen trotz des frühen 1:0 (2.) von Ian Hüter wenig zu bestellen und nach dem 4:3 (7.) begann das dauerhafte Nachlaufen. Im Anschluss ans 6:7 (11.) verlor der TSV Bayer bald den Kontakt – 6:10 (16.), 8:15 (24.). Doppeltes Pech: Alexander Senden, kurz zuvor eingewechselt, verkürzte auf 10:15 (27.) und kurz danach auf 11:16 (29.), wobei er in dieser Aktion umknickte und die Platte wieder verlassen musste. Später blieben die Hausherren bis zum 16:21 (39.) halbwegs dran, ehe die HSG mit dem 26:17 (48.) einen Klassenunterschied deutlich machte. „Nordhorn hatte auf alles, was wir versucht haben, eine Antwort“, stellte Flohr ohne jede Kritik an der eigenen Mannschaft fest. Dazu hatte er drei Tage darauf beim TVG erst recht keinen Grund, weil sich sein Team mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln einsetzte und sich von keinem Rückstand aufhalten ließ – zuerst vom 2:7 (10.) nicht, dass Dormagen mit Anlauf zum 15:15 (26.) ausglich und sogar in eine 18:16-Führung(29.) drehte. Die  zwei Tore mehr der TSV mit in die zweite Halbzeit, in der er bis zum 22:21 (36.) die Nase vorne hatte – und übers 22:26 (42.) mit dem 26:30 (50.) wieder einen Rückschritt erlitt. Gut vier Minuten darauf bahnte sich allerdings bereits das Wunder von Großwallstadt an – 30:30 (55.). Und der Rest des Abends waren für die Gäste mitten ins Glück führende 120 Sekunden: Aus dem 31:32 (57.) machten zunächst Sören Steinhaus (59.) und Peter Strosack (59.) das 33:32, bevor der überragend auftrumpfende Kreisläufer Frederik Sondermann mit seinem zehnten Treffer ein paar Sekunden vor dem Ende die Entscheidung besorgte – 34:32 (60.). Flohr zeigte sich nachvollziehbar begeistert: „Das war einfach klasse und sensationell. Ich bin sehr stolz auf meine Mannschaft. Wir sind zweimal nach Rückstand zurückgekommen und haben immer an uns geglaubt.“ Weiter geht es am 11. November mit der Aufgabe beim Tabellen-Nachbarn Eulen Ludwigshafen (Platz 13/ebenfalls 8:12 Punkte).

Für TuSEM Essen ist die Lage mit dem siebten Platz und 11:9 Zählern zwar grundsätzlich klar entspannter, aber die Oktober-Ausbeute wird bei Trainer Michael Hegemann und seinen Spielern bestimmt keine Euphorie auslösen. Nach dem 22:22 beim Bundesliga-Absteiger TSV GWD Minden (Elfter/9:11) gab es zwar das 32:20 gegen Aue, aber anschließend keinen Erfolg mehr – sondern nach dem 29:29 in Dessau mit dem 24:25 gegen den Spitzenreiter Bietigheim die erste Heimniederlage seit mehr als einem Jahr sowie ein 22:22 beim TuS Vinnhorst. Essen, das offensichtlich wieder eine Art Leidenschaft für enge Spiele mit relativ wenig Toren entdeckt hat, vereint inzwischen zwei Rekorde für die aktuelle 2. Bundesliga auf seinem Konto. Was die 257:254 Tore aussagen? Hegemanns Team stellt zurzeit die beste Abwehr der Klasse – und gleichzeitig den schwächsten Angriff, der im Durchschnitt sogar 2,6 Treffer pro Partie weniger produziert als die weiter unten zu findenden Dormagener. Und vermutlich wird TuSEM hier wieder zulegen müssen, um aus den folgenden Auswärtsspielen am 12. November in Großwallstadt und am 17. November beim HSC Coburg (Zwölfter/9:11) wieder für Zählbares in Frage zu kommen. Im anderen Fall besteht die Gefahr, dass die Essener ihre Position in der oberen Tabellenhälfte einbüßen – was kaum zu den schon oft überzeugenden Leistungen im ersten Drittel der Saison passen würde.

Gegen Spitzenreiter Bietigheim waren die Gastgeber bis zum 17:14 (42.) auf dem Weg zu einer Überraschung, ehe der Favorit durch einen 4:0-Lauf mit dem eigenen 18:17 (47.) antwortete und auf der Zielgeraden immer wieder vorlegte. Alexander Schoss glich beim 23:23 (57.) sogar aus für TuSEM, doch die SG setzte mit dem 24:23 (58.) und spätestens mit dem 25:23 (60.) genau 19 Sekunden vor dem Ende entscheidende Treffer. Hegemann konnte mit der Leistung der Essener dennoch leben: „Wir haben ein sehr ordentliches Spiel hingelegt, hatten nur in der zweiten Halbzeit nicht mehr die Durchschlagskraft wie in der ersten. Wir haben ein paar zu viele Bälle zum Kreis zugelassen und Bietigheim hat es am Ende auch verdient gewonnen. Ich kann meiner Mannschaft in Sachen Einsatzbereitschaft und Leidenschaft keinen Vorwurf machen.“ Schmerzhafter war auf jeden Fall das Ende der Dienstreise ein paar Tage später nach Vinnhorst, die erneut einen ebenso intensiven wie engen Kampf lieferte. Da erzielte Max Neuhaus am Anfang der letzten Minute das 22:20 für die Gäste, die ihren Vorsprung aber nicht ins Ziel bringen konnten – weil der TuS zunächst schnell auf 21:22 verkürzte. Anschließend scheiterte Felix Klingler mit seinem Versuch am Vinnhorster Keeper Thomas Langerud Kristoffersen und die Vinnhorster kamen danach 14 Sekunden vor der Schluss-Sirene noch zum 22:22-Ausgleich. Diesmal war Hegemann eher mäßig begeistert: „Das Ergebnis ärgert uns alle, jeder von uns ist enttäuscht. Wir haben das selbst verbaselt. Wir haben zweimal mit vier Toren geführt und es nicht geschafft, diese konstant zu halten. Wenn wir so viele freie Bälle liegen lassen, dann ist es schwierig. Trotz aller Strapazen der englischen Woche ist ein Punkt zu wenig.“

 

TuSEM Essen – SG BBM Bietigheim 24:25 (13:10). 

TuSEM Essen: Fuchs, Diedrich – Ellwanger (5), Kämper, Wolfram (1), Wilhelm, Homscheid (1/1), Eißing (3), Szczesny (1), Seidel, Klingler, Neuhaus (4), Rose (4), Mast (1), Werschkull, Schoss (4).

 

TuS Vinnhorst – TuSEM Essen 22:22 (11:13). 

TuSEM Essen: Fuchs, Diedrich – Ellwanger, Wolfram, Wilhelm, Homscheid (4/2), Eißing (1/1), Szczesny (2), Seidel, Klingler (6), Neuhaus (5), Kostuj, Rose (2), Mast, Werschkull (1), Schoss (1).

 

TSV Bayer Dormagen – HSG Nordhorn-Lingen 25:33 (12:17).

TSV Bayer Dormagen: Juzbasic, Simonsen – Reuland (1), Senden (2), Böhnert (1), Rehfus (2), I. Hüter (4), Reimer (1/1), Böckenholt, Schroven (3), Strosack (3), Träger (1), J.-C. Schmidt (2), Pauli (2), Steinhaus (1), Sondermann (2).

 

TV Großwallstadt – TSV Bayer Dormagen 32:34 (17:19). 

TSV Bayer Dormagen: Juzbasic, Simonsen – Reuland, Böhnert, Kremp, Rehfus (1), I. Hüter (3), Reimer (3/3), Böckenholt (1), Schroven (2), Strosack (7), Träger, J.-C. Schmidt (2), Pauli (1), Steinhaus (4), Sondermann (10).