Regionalliga Nordrhein
Korschenbroich wie das neue Ratingen
Interaktiv hat es in der vergangenen Saison vorgemacht: TVK ist trotz einer schwachen Abwehr ein Titelfavorit. Vielleicht stecken demnächst auch drei Viertel der Klasse im Abstiegskampf.

Beschwörungsversuch: David Klinnert ist zurzeit Korschenbroichs bester Torschütze und – wie die gesamte Mannschaft – nachvollziehbar heiß darauf, dass der TVK zumindest mal die Tabellenführung übernimmt. (Foto: Michael Jäger)

Diese Frage drängt sich einfach auf: Kann einer, dessen Abwehr zu den schlechtesten Defensiv-Reihen in der ganzen Klasse gehört, wirklich aufsteigen? Die Antwort ist ebenso einfach: Er kann. Und dazu braucht es nicht mal Hexenwerk, wie bereits in der vergangenen Saison 2022/2023 der heutige Drittligist Interaktiv.Handball eindeutig zeigte. Damals landeten die Ratinger bei 774 Gegentreffern – was bei 26 Spielen einem Durchschnitt von fast 30 pro Partie entspricht (29,76) und eigentlich viel zu viel ist. Als Gegenentwurf taugte der spätere Vizemeister TV Korschenbroich, der bei nur 708 Gegentoren landete (27,23) und damit glatte zweieinhalb Treffer pro Einsatz besser lag als der große Titelkontrahent. Eine Saison später sind die Ratinger, die sich heute in der höheren Liga sehr brauchbar schlagen, nicht mehr da – aber sie haben zumindest in einem Teilbereich einen Nachfolger gefunden: Korschenbroich. Das einstige Bollwerk der Regionalliga hat derart viele Risse bekommen, dass die Torhüter Felix Krüger und Mika Schoolmeesters zusammen bereits 310 Mal hinter sich greifen mussten, was nach zehn Spielen einem Schnitt von genau 31 Gegentreffern pro Abend entspricht. Da bleibt dem Team von Trainer Dirk Wolf echt nur übrig, die Produktion vorne immer von Beginn an hochzufahren und dort zu halten, um in der Summe den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Wolf hat es aber vor Kurzem mal so ausgedrückt: „Wir können nicht jedes Mal fast 40 Tore erzielen, um Spiele zu gewinnen.“ Die bisherigen Auftritte zeigen allerdings, dass es wohl doch so sein muss und jedenfalls nicht grundsätzlich anders sein darf.

Die beiden Niederlagen vom zweiten und dritten Spieltag (noch mit dem alten Trainer Gilbert Lansen) passierten unter anderem deshalb, weil der TVK jeweils weniger als 30 Tore erzielte – 27:29 beim TSV Bayer Dormagen II, 29:31 bei der HG Remscheid. Mehr als 30 Treffer gelangen (mit dem inzwischen als Trainer zurückgekehrten Dirk Wolf) in den beiden anderen Spielen, die mit Punktverlusten endeten – 35:35 gegen den HC Gelpe/Strombach, 33:37 beim BTB Aachen. Die 37 selbst erzielten Tore zuletzt beim 37:32 gegen TuSEM Essen II reihten sich im Übrigen nur auf Rang drei in der aktuellen Korschenbroicher Statistik für 2023/2024 ein: Beim 41:30 über die TSV Bonn rrh. und beim 39:34 als Gast des OSC Rheinhausen waren es noch mehr Treffer. Insgesamt ist es hier keine kleine Überraschung, dass der am weitesten vorne positionierte Korschenbroicher in der Torschützenliste der Regionalliga Nordrhein in David Klinnert erst auf Rang 14 folgt (47 Tore in acht Spielen/davon 34 per Siebenmeter). Beste Feld-Torschützen sind momentan Regisseur Mats Wolf auf Rang 23 (43 Tore in zehn Spielen) und Rückraumspieler Henrik Schiffmann auf Platz 35 (36/acht Spiele).

Dass der TV Korschenbroich inzwischen wieder darauf hoffen darf, am Ende der Serie vielleicht trotz aller bisherigen Haken seinen Traum vom Aufstieg zu verwirklichen, liegt in erster Linie daran, dass momentan in der Regionalliga nichts so beständig ist wie die Unbeständigkeit – wobei der TVK davon ja bisher nicht ausgenommen war. Ganz vorne liegt nach dem vergangenen Wochenende weiterhin die HG Remscheid (14:6 Punkte), die mit dem 33:34 beim Schlusslicht SG Langenfeld ihre dritte Niederlage erlitt nach dem 21:29 bei TuSEM Essen II und dem 24:26 beim Bergischen HC II. Auffallend: Keiner der drei HGR-Bezwinger hat irgendeinen Plan, die Meisterschaft zu erringen – weder Essen (Achter/10:10) noch der BHC II (Zwölfter/8:12) und schon gar nicht Langenfeld (Letzter/4:16). Also kommen die Remscheider, die mit ihrem neuen Trainer Nelson Weisz eher mittelfristig den Aufstieg anstreben, aktuell ebenfalls relativ schwankend daher. Beim Zweiten HC Weiden, der zuletzt mit dem 26:28 bei der HSG Refrath/Hand ebenfalls die dritte Saison-Niederlage kassierte, war ohnehin nie von der Meisterschaft die Rede – und das wird in den kommenden Wochen und Monaten unabhängig von den folgenden Ergebnissen so bleiben. Am Ende zeigt sowieso erst die Lage ab Rang vier, wie eng diese unbeständige Liga nach etwas mehr als einem Drittel tatsächlich geworden ist: Beim Aufsteiger TSV Bayer Dormagen II beginnt eine breite Zone, in der kleinste Ausrutscher eine maximale Auswirkung bedeuten können.

Dormagen, die HSG Refrath/Hand und der BTB Aachen bilden ein Trio, dessen Mitglieder mit 11:9 Punkten knapp vor der TSV Bonn rrh. liegen (10:8). Dicht dahinter befinden sich TuSEM Essen II und der MTV Rheinwacht Dinslaken als nächster Doppelpack mit 10:10 Zählern sowie der HC Gelpe/Strombach und der OSC Rheinhausen mit jeweils 9:11 Punkten. Letzter dieses extrem breiten Mittelfeldes ist auf Platz zwölf der Bergische HC II (8:12), der jetzt eine besondere Gelegenheit zur Überprüfung der eigenen Standfestigkeit bekommt: Die Solinger mit Trainer Mirko Bernau eröffnen den Spieltag am Freitagabend und sie werden den Korschenbroichern sehr genau auf den Zahn fühlen – die ihrerseits bestimmt wissen, dass diese Aufgabe kein Selbstläufer wird und dass sie trotzdem für eine weiterhin brauchbare Lage im Kampf um den Aufstieg einen Sieg brauchen. Sollte dem Dritten TVK (13:7) ein Erfolg gelingen, könnte er mit dann 15:7 Punkten sogar die Tabellenführung übernehmen, weil die Remscheider (14:6) und die Weidener (13:7) erst am Samstag an der Reihe sind, die HGR gegen den Aufsteiger Borussia Mönchengladbach (Vorletzter/5:13) und die Weidener in einer Art Duell zwischen zwei Verfolgern gegen Dormagen II.

Dessen Trainer Martin Berger findet den jüngsten Erfolg über den BHC II (34:28) selbst ein paar Tage danach mit dem Blick zum HC Weiden und gleichzeitig auf die Enge in der Tabelle immer noch sehr wertvoll: „Wir spielen auswärts, alleine deshalb sind wir gewarnt, weil die letzten Spiele auswärts ja nicht so erfreulich waren. Aber wir wollen das jetzt auch mal auf die Platte bringen nach dem sehr guten Heimspiel gegen den BHC, das sehr gutgetan hat.“ Gleichzeitig muss der TSV Bayer II als Schnittstelle zwischen Nachwuchs und Profibereich weiter darauf warten, dass alle Mann an Bord sind – und diesmal zusätzlich Spieler ans Zweitliga-Team abgeben. „Carlos Marquis und Luca Rügenberg sind noch nicht im Training“, erklärt Berger, „die Erste spielt zeitgleich an dem Samstag und Florian Böhnert und andere werden wahrscheinlich eher mit nach Lübeck-Schwartau fahren. Dafür hat die A-Jugend frei und wir werden in Weiden mit einem jüngeren Kader spielen. Wir wollen den Kampf aber annehmen.“

Dass es auf praktisch nichts eine Garantie gibt, ist inzwischen mindestens bei den meisten intensiv angekommen: Remscheid, das in Langenfeld unerwartet beide Punkte ließ, wird jetzt wohl kaum den Vorletzten Mönchengladbach unterschätzen. Und die HSG Refrath/Hand zum Beispiel wird ebenso wissen, dass sie sich für ihren jüngsten 28:26 über den HC Weiden wenig kaufen kann – auch keinen Sieg in Langenfeld. Sollte die SGL ihren zweiten Erfolg hintereinander einfahren, hätte sie womöglich so etwas wie den Anschluss ans untere Mittelfeld hergestellt. Und dann stünden plötzlich drei Viertel der Regionalliga im Abstiegskampf. Fazit: Die letzten vier Spieltage bis zur Pause über Weihnachten/Neujahr versprechen maximal viel Abwechslung. Darin enthalten mag sein, dass einer aufsteigen kann, dessen Abwehr zu den schlechtesten der ganze Klasse gehört.