1. Bundesliga
Abstiegsangst: Eisenach ist der Albtraum des BHC
Das direkte Duell mit dem Aufsteiger kann ein bisschen Hoffnung bringen - oder schon alles entscheiden. Gummersbach klettert auf Platz sechs und schwebt auf Wolke sieben.

Was tun? Trainer Jamal Naji (stehend), Co-Trainer Peer Pütz, Co-Trainer Arnor Thor Gunnarsson, Djibril M’Bengue, Grega Krecic, und Tomas Babak (von links) suchen mit dem BHC intensiv nach einem Weg ans rettende Ufer. (Foto: Thomas Wirczikowski)

Zehn Niederlagen hintereinander. Bislang letzter Sieg in dieser Saison am 10. Dezember 2023 mit einem 33:28 gegen den TVB Stuttgart. Da war die sportliche Welt noch in Ordnung und beim Bergischen HC niemand darauf eingestellt, an das Wort Abstieg übermäßig viele Gedanken zu verschwenden. Längst vergessen schien zudem der missratene Beginn mit drei knappen Niederlagen zu sein – 30:31 beim ThSV Eisenach, 27:28 gegen HBW Balingen-Weilstetten, 27:28 beim HC Erlangen. Das folgende 30:34 gegen die deutlich favorisierten Füchse Berlin hatte der BHC irgendwie eingepreist und dann schien sich ja mit dem 33:27 beim VfL Gummersbach alles zum Besseren zu wenden. Tatsächlich fiel damals der Startschuss zu einer Zeit, die den BHC aus dem Keller ins Mittelfeld beförderte, denn aus zwölf Partien (Gummersbach eingeschlossen) wanderten tatsächlich 13:11 Zähler aufs Konto, das nach dem Erfolg über die Stuttgarter bei 13:19 Punkten stand. Was jedoch folgte, war ein abenteuerlicher und sich nicht nur aus größeren personellen Problemen speisender Absturz, der einen ersten Höhepunkt am 29. Februar 2024 mit dem 22:33-Debakel beim SC DHfK Leipzig erreichte. Anschließend saßen sie in Solingen viel zusammen und hinterher erklärten alle, der Prozess habe wohl reinigende Wirkung gehabt. So formulierte es Geschäftsführer Jörg Föste: „Wir können festhalten, dass nach Abkratzen der Oberfläche einiges zutage getreten ist, was schon längst hätte angesprochen werden müssen.“ Nun denn. Weitergekommen ist der BHC seit dieser Erklärung keinen Millimeter: Das folgende 24:31 gegen die Gummersbacher war erneut eine herbe Enttäuschung und jenes anständige 27:30 gegen den SC Magdeburg vor allem dazu geeignet, dem einen oder anderen Sand in die Augen zu streuen. Ja, der Vorletzte konnte gegen eine der besten Mannschaften der Welt mithalten, er wirkte streckenweise mutig. Ob es wohl daran gelegen haben kann (wie ein paar Wochen zuvor beim 25:29 gegen den THW Kiel), dass es nichts zu verlieren gab? Jetzt, als es wieder besonders und extremst wichtig gewesen wäre, sank das allgemeine Niveau zurück in den Keller – also in eine Umgebung, in der der BHC seit Wochen zu Hause ist. Das 26:27 beim ebenfalls keine Großleistung abliefernden TVB Stuttgart machte alles noch viel schlimmer. Auf den Rängen 14 und 15 dürften sich der TVB (20:34 Punkte) und der HC Erlangen (19:35) vielleicht halbwegs sicher fühlen. Dahinter befindet sich Eisenach (16:38) ebenfalls noch am rettenden Ufer – das für den Vorletzten Bergischer HC (13:39) wenigstens ein bisschen sowie für das Schlusslicht Balingen-Weilstetten (11:41) noch ein bisschen mehr außer Reichweite liegt. Dabei entwickelt sich Aufsteiger Eisenach seit einiger Zeit zu einem echten Albtraum des BHC.

Es ist Mittwoch, der 7. Juni 2023, gegen 21 Uhr. Die Eisenacher gewinnen in der 2. Bundesliga einen Krimi beim HSC Coburg mit 26:25 und steigen in die 1. Bundesliga auf – mit 55:21 Punkten klar hinter Balingen-Weilstetten (60:16) und hauchdünn vor dem Dessau-Roßlauer HV (54:22). Als gut zweieinhalb Monate später die Saison 2023/2024 beginnt, gilt der Klub aus Thüringen als größter möglicher Außenseiter, der gegen null gehende Chancen auf den Klassenerhalt hat – und doch mit dem Erfolg über den BHC sowie insgesamt 5:5 Punkten erst mal sehr annehmbar loslegt. Sieben Niederlagen hintereinander deuten im Anschluss darauf hin, dass die Serie tatsächlich kaum zu bewältigen sein könnte, ehe mit dem 25:24 am 8. Dezember 2023 gegen die Leipziger, die später den BHC zerlegen werden, das nächste Achtungszeichen folgt – und mit dem 27:26 am 20. Dezember bei den Rhein-Neckar Löwen sowie dem 28:26 am 23. Dezember gegen den HC Erlangen direkt noch zwei. Auch auf eine weitere Niederlagen-Serie (fünf) findet der ThSV gute Antworten – 31:31 gegen die TSV Hannover-Burgdorf (nach 8:14-Rückstand), 31:29 in Leipzig. In der Addition ergeben sich daraus 9:13 Punkte und damit neun mehr, als der leer ausgehende BHC im nämlichen Zeitraum erreichen konnte. Manches spricht in der Summe aller Einzelteile dafür, dass Eisenach das sehr deutliche 25:35 gegen den SC Magdeburg an diesem Sonntagabend unbeschadet überstehen wird. Und alles spricht dafür, dass die Thüringer beinahe zweihundert Prozent Moral und Leidenschaft mit zum BHC bringen werden, der den ThSV am 7. April zum nächsten Abstiegsfinale erwartet. Wie hatten sie in Solingen die Partie in Stuttgart genannt? „Muss-Spiel.“ Wie sie in Kürze das Duell mit Eisenach bezeichnen werden? Man weiß es nicht. Ein Unterschied auf jeden Fall zwischen den beiden Hauptdarstellern im Abstiegs-Drama: Die Eisenacher stehen seit jenem ersten Spieltag regelmäßig in Endspielen, also sind sie mit der Lage bestens vertraut. Und beim BHC macht der eine oder andere tatsächlich den Eindruck, als sei er noch immer nicht komplett in der Wirklichkeit angekommen. Man hat sich bereits zu den Etablierten gezählt. Dabei deutet gerade mehr auf den Abstieg als auf den Klassenerhalt hin. Das ist die bittere Wahrheit rund um Ostern 2024 – aber dieses Ei hat sich der BHC ganz alleine ins Nest gelegt.

Der BHC kam in Stuttgart vom Weg ab, obwohl er mit dem 5:1 (7.) einen perfekten Beginn hatte. Weil er allerdings in der Folge bis auf den starken Lukas Stutzke und die Anspiele auf Kreisläufer Frederik Ladefoged noch weniger bundesliga-taugliche Qualitäten vorweisen konnte als die Hausherren, schmolz der klare Vorsprung Zentimeter für Zentimeter – und war mit dem 11:11 (30.) am Ende der ersten Halbzeit ganz weg. In der zweiten glichen die Gäste ein 16:18 (43.) noch zum 18:18 (45.) aus, ehe aus dem 22:23 (53.) ein 22:26 (57.)-Rückstand wurde. Passend zum Abend: Beim Stande von 22:23 (52.) scheiterte Noah Beyer mit der Siebenmeter-Chance (53.) an Stuttgarts Keeper Silvio Heinevetter. Mit dem höchsten Risiko einer offenen Manndeckung kam der BHC anschließend trotzdem auf 25:26 (60.) heran, doch Jorge Serrano Villalobos machte mit dem 27:25 genau 29 Sekunden vor der Schluss-Sirene alles klar für Stuttgart und wenig später standen die Gäste erneut mit leeren Händen da. Trainer Naji versuchte sich hinterher dennoch als (Zweck-) Optimist: „Wir haben unheimlich viel investiert und gekämpft. Daher tut die Niederlage einfach unfassbar weh. Aber – und das ist wichtig für uns – wir sind noch nicht tot. Dieses Bewusstsein müssen wir weitertransportieren und wir müssen weiter an uns glauben. Heute waren viele Dinge gut und die schlechten müssen wir ausmerzen. Wir haben jetzt genug Zeit, uns auf das ganz wichtige Heimspiel gegen Eisenach vorzubereiten.“

Wer sich ein paar Kilometer aus dem Bergischen mitten ins Oberbergische verändert, taucht von jetzt auf gleich in eine komplett andere Welt ein. Dort kennen sie offensichtlich im zweiten Jahr nach der Rückkehr in die höchste deutsche Klasse keine Sorgen irgendwelcher Art und sie vergolden aktuell zumindest sehr viel von dem, was sie anfassen. Nach dem Einstieg ins neue Jahr mit dem 29:32 bei der TSV Hannover-Burgdorf deutete noch nicht mal sehr viel darauf hin, dass sich die Mannschaft von Trainer Gudjon Valur Sigurdsson gemeinsam mit Hannover um den sechsten Platz hinter den „Großen Fünf“ aus Füchse Berlin, SC Magdeburg, SG Flensburg-Handewitt, MT Melsungen und THW Kiel würde bewerben können – also um jenen Rang, der im günstigsten Fall der Fälle zur Teilnahme an einem europäischen Wettbewerb berechtigen könnte. Die sieben Partien nach dem Auftritt in Niedersachsen brachten dann sechs Siege und eine 30:38-Niederlage gegen favorisierte Magdeburger, bei der den VfL letztlich alleine die Höhe des Ergebnisses störte. Der Rest sah aus wie eine Mischung aus Spielglück und sich beinahe pausenlos steigendem Selbstbewusstsein – 26:24 beim ThSV Eisenach, 30:29 gegen SC DHfK Leipzig, 26:23 beim TBV Lemgo Lippe, 31:24 beim Bergischen HC, 35:27 gegen TVB Stuttgart und jetzt 34:31 beim HC Erlangen. Weil die TSV Hannover-Burgdorf gleichzeitig in Flensburg mit 28:31 den Kürzeren zog, kam es zu einem Platztausch: Beide stehen nun bei 30:22 Zählern und Gummersbach liegt über das knapp bessere Torverhältnis vorn Hannover (plus 5/plus 1). Weil von hinten ab dem Achten Leipzig (23:27) keine Gefahr mehr droht, werden sich der VfL und die TSV wohl bis zum Ende in weiteren acht Partien ein Fernduell um Rang sechs liefern. Der Zweikampf geht für Gummersbach am nächsten Freitag gegen den Tabellenletzten HBW Balingen-Weilstetten weiter, während Hannover den HSV Hamburg erwartet. Wer letztlich am Ende der Saison die Nase vorne hat, lässt sich kaum vorhersagen – obwohl auf Hannover wohl das eine Spur einfachere Restprogramm zukommt. Auf die Mannschaft von VfL-Trainer Gudjon Valur Sigurdsson warten unter anderem am 5. Mai in Berlin, am 26. Mai gegen Kiel und am 30. Mai in Flensburg noch drei Gegner aus dem allerobersten Regal.

In Erlangen schienen die Gäste irgendwie in sich selbst zu ruhen, weil sie sich zuerst vom 0:2 (4.) nicht nachhaltig irritieren ließen und später bei entsprechenden Angeboten durch die Hausherren entschlossen zugriffen. Beispiel eins boten hier die Minuten nach dem 12:12 (23.), als Miro Schluroff (24.), Lukas Blohme (25.) und Milos Vujovic (27.) auf 15:12 erhöhten. Beispiel zwei folgte direkt danach: Erlangen konnte das 16:13 (29.) kurz vor der Halbzeit auf 16:15 (30.) verkürzen, doch der VfL fand halbzeit-übergreifend erneut Lösungen – 18:15 (32.). Beispiel drei: Vom 22:18 (39.) bewegte sich Gummersbach übers 24:18 (41.) und 27:21 (48.) auf 29:23 (49.) weg. In keiner dieser Phasen ließ der VfL mit den besonders treffsicheren Ole Pregler (acht Treffer) und Milos Vujovic (zehn/vier per Siebenmeter) den Eindruck entstehen, an sich selbst oder am eigenen Erfolg zu zweifeln. Dass die restlichen fünf Minuten ab dem 32:27 (55.) ein wenig wirr aussahen, brachte den Sieg entsprechend nicht mehr in Gefahr und Erlangens 30:33 (60.) fiel auch erst 30 Sekunden vor der Schluss-Sirene, als längst alles entschieden war.

 

TVB Stuttgart – Bergischer HC 27:26 (11:11).

Bergischer HC: Rudeck, Johannesson – Beyer (8/4), Persson, Doniecki, Nothdurft, Krecic, M’Bengue (2), Ladefoged (6), Andersen (1), Fraatz (2), Babak (2), Arnesson, Morante Maldonado (1), Stutzke (4).

 

HC Erlangen – VfL Gummersbach 31:34 (15:17). 

VfL Gummersbach: Rebmann, Ivanisevic – Vidarsson (4), Kodrin (1), Vujovic (10/4), Köster (2), Blohme (4), Oskarsson (1), Häseler, Schluroff (3), Tskhovrebadze (1), Pregler (8), Horzen, Kiesler, Protsiuk, Zeman.