1. Bundesliga
Der Mini-Strohhalm des BHC: Jetzt heißt er Erlangen
Nach dem 25:21 in Balingen beträgt der Rückstand zum rettenden Ufer "nur" noch vier Punkte. Gummersbach holt mit Glück beim 33:33 einen Punkt in Hamburg.

Yes, we can!! Auch BHC-Torhüter Christopher Rudeck, der mit zwölf Paraden und einer Quote von 37,50 Prozent an gehaltenen Bällen eine starke Leistung zeigte, war nach dem Erfolg des Bergischen HC in Balingen und dem Ende der langen Niederlagenserie total erleichtert. (Foto: Thomas Wirczikowski)

Es ist ja grundsätzlich nicht langweilig, was derzeit mit dem und rund um den Bergischen HC passiert. Die Entwicklung und der tiefe Sturz in den Keller der Tabelle sind eher dramatisch, faszinierend bis völlig rätselhaft. Trotzdem eher sehr langweilig, weil irgendwie in seiner Einfallslosigkeit branchenüblich, war dann in der vergangenen Woche die Trennung von Trainer Jamal Naji, dessen Co-Trainer Peer Pütz gleich mit freigestellt wurde. Merkwürdig, die Erste: Am Ende des vergangenen Jahres hatte der BHC den Vertrag des Handball-Lehrers vorzeitig bis Juni 2028 verlängert. Deshalb kann es ja nur Freistellung heißen – und vermutlich werden beide Seiten bald noch einmal zusammensitzen, um die Angelegenheit über eine Art Vergleich finanzieller Art vom Tisch zu bekommen. Auch das ist branchenüblich. Merkwürdig, die Zweite: Geschäftsführer Jörg Föste hatte erst vor Kurzem erklärt, am Trainer auf jeden Fall bis zum Saisonende festzuhalten. Das war nach dem 27:30 am 7. April gegen den  Aufsteiger ThSV Eisenach. Das „Treuebekenntnis“, das in der Wirklichkeit gar keins war, hielt dann entsprechend nur gut eine Woche, denn kurz nach dem 29:35 am 12. April bei den Rhein-Neckar Löwen war Najis Zeit beim BHC trotzdem abgelaufen. Begründung: „Das Setzen eines neuen Impulses ist unausweichlich.“ Und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fühlen sie sich jetzt in der Solinger Zentrale des Bergischen HC in ihrem Entschluss bestätigt. Schließlich gelang unter der Federführung der Interimstrainer Arnor Thor Gunnarsson und Markus Pütz (vorher Co-Trainer) sowie der von Sportkoordinator Fabian Gutbrod die Beendigung einer quälend langen Serie von zwölf Niederlagen hintereinander. Mit einem 25:21-Sieg. Beim Schlusslicht HBW Balingen-Weilstetten (11:47 Punkte), dem es im Kampf gegen den Abstieg noch schlechter geht als dem Vorletzten BHC (15:43). Ob der Erfolg im Duell der beiden aktuell nach der Tabelle schlechtesten Erstligisten mit Naji an der Seitenlinie ebenfalls möglich gewesen wäre, wird sich nie herausfinden lassen. Angesichts dessen, was Balingen im für beide Seiten sportlich überlebenswichtigen Duell anzubieten hatte (oder eben nicht), wäre ein Erfolg zumindest denkbar gewesen. Und ganz nebenbei: Die Pleite gegen den BHC war zugleich die letzte „Amtshandlung“ des HBW-Trainers Jens Bürkle, den die „Gallier“ in einer Art „Nachahmungstat“ am Montag freistellten. Für den BHC wird nun allerdings weder das Wohlergehen von Jamal Naji noch jenes von Jens Bürkle im Vordergrund stehen, sondern allein die Tatsache, dass er sich weiter an einen dünnen Strohhalm in Sachen Klassenerhalt klammern darf. 

Natürlich muss eine Mannschaft feiern, wenn sie in den vergangenen Wochen und Monaten nur Nacken- und Rückschläge hat hinnehmen müssen. Natürlich spielt es dann zunächst keine Rolle, wie der Sieg entstanden ist. Und vielleicht setzt das Ende der Negativserie auch frische Kräfte frei, die über das rein Handballerische hinausgehen und gerade in bedrängter Lage unabdingbar sind. Tatsache ist trotzdem, dass der BHC „nur“ das Keller-Keller-Duell gewonnen hat – und falls ihm das nicht gelungen wäre, hätte er herausfinden müssen, was er überhaupt in der 1. Bundesliga zu suchen hat. Gleichzeitig ist die Lage weiter extrem angespannt – für Balingen sowieso, dessen Chancen auf ein weiteres Jahr Erstklassigkeit bei acht Zählern Rückstand zum rettenden Ufer und dem schlechtesten Torverhältnis (minus 95) gegen null gehen. Sicher: Die Lage des Bergischen HC direkt davor ist einen Deut weniger schlecht und dennoch weit entfernt von vielversprechend. Davon ausgehend, dass die heiße Abstiegszone bei Rang 14 beginnt, liegen der TVB Stuttgart (20:38/minus 55) und der ThSV Eisenach (20:38/minus 62) derzeit fünf Zähler vor dem BHC – der sich nun den HC Erlangen (19:39/minus 62) als neues Objekt der Begierde, das es einzuholen gilt, ausgesucht hat.

Die besonders Zuversichtlichen im Bergischen stellen inzwischen bereits diese Rechnung auf: Der Bergische HC gewinnt am kommenden Sonntag gegen jene Erlanger – und anschließend wird alles gut, weil der Kontrahent sowieso ein sehr schwieriges Endspurt-Programm vor sich hat. Wer die nach dem direkten Treffen folgenden jeweils vier Spiele miteinander vergleicht und dort nachhaltige Vorteile für eins der beiden Teams entdeckt, sollte jedoch gleich einen Lottoschein ausfüllen. Erlangen tritt anschließend am 1. Mai gegen die MT Melsungen (Fünfter), am 18. Mai gegen den SC Magdeburg (Erster), am 29. Mai gegen Stuttgart (Rang 14) dreimal hintereinander zu Hause an sowie zum Abschluss am 2. Juni bei der TSV Hannover-Burgdorf (Siebter). Der BHC muss am 2. Mai zum HSV Hamburg (Neunter), ehe er am 19. Mai den TBV Lemgo Lippe (Elfter) erwartet, am 30. Mai bei den Füchsen Berlin (Zweiter) spielt und die Saison am 2. Juni gegen die SG Flensburg-Handewitt beschließt (Dritter). Alle Modellrechnungen zur Rettung des BHC beinhalten dabei, dass die Erlanger nahezu komplett leer ausgehen und nicht mal zu Hause gegen den TVB Stuttgart gewinnen. Die Formel kann auch so lauten: Der Vorletzte muss ab sofort über sich hinauswachsen, die eine oder andere Überraschung einbauen – und er muss massenhaft fremde Hilfe bekommen. 

In Balingen legten die Hausherren in der ersten Halbzeit eines typischen Abstiegsduells mit vielen Fehlern regelmäßig vor – 5:1 (8.), 8:6 (17.), 10:9 (23.), 12:11 (30.). Danach gelang dem BHC aber ein schwungvoller Start in den zweiten Abschnitt, bevor er über drei Treffer in Folge zum 14:12 (36.) die Wende einleitete und in seiner besten Phase vom 14:13 (37.) auf 19:14 (44.) wegzog. Den entscheidenden  Schlag gab es kurz darauf mit den drei Treffern, die aus dem 20:17 (50.) gut fünf Minuten vor dem Ende die Sechs-Tore-Führung machten – 23:17 (55.). Balingen konnte anschließend zwar auf 21:24 (60.) verkürzen, aber den Sieg des Bergischen HC nicht mehr gefährden. Klar: Das Ergebnis sorgte für Freudentänze bei Team und Trainern – zum ersten Mal seit dem 10. Dezember 2023 und dem 33:28 damals gegen die Stuttgarter. „Diese positive Energie, die die Jungs die letzten Tage gezeigt haben, fand ich überragend“, sagte Anor Thor Gunnarsson, „in der Kabine schon vor dem Spiel habe ich gemerkt, das heute etwas mit dieser Energie der Jungs geht. Wir haben von Anfang an unfassbar gekämpft. Und ich bin unfassbar glücklich, dass wir heute gewonnen haben.“ Fabian Gutbrod war ebenfalls ein Stein vom Herzen gefallen: „Zum einen bin ich wahnsinnig erleichtert, weil sich zwölf Niederlagen in Folge einfach wahnsinnig schlimm anfühlen. Zum anderen bin ich wahnsinnig stolz. Natürlich wegen des Sieges, aber heute fand ich vor allem die Art und Weise viel wichtiger. Warum das lange nicht so war und jetzt wieder da war, ist egal. Fakt ist, dass ich heute 13 Jungs gesehen habe, die zusammen Freude hatten. In diesem Spiel hat jeder seinen Beitrag geleistet. Das freut mich unglaublich für die Mannschaft. Den Sieg hat sie sich verdient.“

Welch ein Unterschied zur prekären Lage im Bergischen: Fernab von aller Hektik oder irgendwlechen Trainerdiskussionen zieht der VfL Gummersbach fast heimlich, still und leise mit oft überzeugenden Leistungen und Ergebnissen sein „Ding“ durch. Und die Mannschaft von Trainer Gudjon Valur Sigurdsson scheint zurzeit nahezu alles in Gold zu verwandeln, was sie anfasst – und sie hatte jetzt in der Partie beim HSV Hamburg (Neunter/26:30) unter anderem das, was vielleicht als „Spielglück“ durchgeht. Eineinhalb Minuten vor dem Ende lag der VfL, der bei Weitem nicht sein stärkstes Niveau auf die Platte brachte, mit 31:33 hinten, ehe Milos Vujovic genau 31 Sekunden vor Schluss das 32:33 erzielte. Danach gewann Gummersbach noch einmal den Ball – und Sigurdsson rief sein Team bei noch fünf Sekunden auf der Uhr zu einer Auszeit zusammen. Der Rest lief perfekt: Ole Pregler passte zu Julian Köster, gegen dessen Wucht die Hamburger erneut wenig ausrichten konnten – 33:33, Abpfiff. Es war das spektakuläre Finale einer extrem engen und ausgeglichenen Partie, in dem Gummersbach vor der Pause oft führte und ab dem 17:18 (30.) kurz vor dem Ende der ersten Halbzeit zunächst permanent mit einem Tor Unterschied hinterherrannte. Dann machte Hamburg aus dem 29:28 (51.) die 31:28-Führung (52.), ehe Miro Schluroff auf 29:31 (52.) verkürzte und beide Mannschaften eine offensive Schaffenspause von fast fünf Minuten einlegten – und dadurch die Spannung weiter nach oben trieben. Es folgte jenes Finale mit Happy End für Gummersbach, das dadurch frustrierte Hamburger hinterließ – zumal die Gastgeber mit einer Entscheidung der Schiedsrichter kurz zuvor ganz und gar nicht einverstanden waren. Da war ein Treffer von Dani Baijens, der acht Sekunden vor dem Ende das 34:32 gebrachte hätte, nicht anerkannt worden: Die Unparteiischen hatten ein Stürmerfolul des HSV-Spielmachers gesehen.

Sehr ehrlich zeigte sich VfL-Trainer Sigurdsson hinterher, unter anderem mit dem Blick auf seinen HSV-Kollegen Torsten Jansen: „Ich glaube, ich bin der Glücklichere von uns beiden hier. Wir haben uns sehr schwergetan in der Abwehr heute und mit Dani Baijens große Probleme gehabt. Wir haben uns aber in der zweiten Halbzeit durch unsere schnelle Mitte und die zweite Welle im Spiel halten können. Am Ende setzen wir alles auf eine Karte und gehen Mann gegen Mann. Von einem verdienten Punktgewinn kann man nicht sprechen, aber wir nehmen ihn gerne mit. Hamburg war über das gesamte Spiel die bessere Mannschaft. Ich bin glücklich und froh, dass wir doch mit einem Punkt nach Hause fahren können.“ Durch das Unentschieden schraubte Gummersbach sein Konto auf 15:5 Punkte im Kalenderjahr 2024 und auf 33:23 Zähler insgesamt – was zurzeit den sicheren sechsten Platz hinter den fünf Top-Teams SC Magdeburg (50:6), Füchse Berlin (50:8), SG Flensburg-Handewitt (42:14), THW Kiel (40:16) und MT Melsungen (38:20) bedeutet. Einziger Konkurrent im Kampf um jenen Rang sechs, der eine deutliche Steigerung im Vergleich zu 2022/2023 wäre (Zehnter/33:35), ist die TSV Hannover-Burgdorf (32:26), die jüngst allerdings einiges an Boden einbüßte (unter anderem 25:26 gegen Hamburg und 23:28 beim TBV Lemgo Lippe). Im Fernduell legt nun Hannover am Freitagabend gegen FrischAuf Göppingen vor (Zwölfter/23:35), während die Gummersbacher am Samstag die HSG Wetzlar erwarten (Platz 13/23:35).

 

HBW Balingen-Weilstetten – Bergischer HC 21:25 (12:11). 

Bergischer HC: Rudeck, Johannesson – Beyer (8/1), Servos, Doniecki (1), Nothdurft, Krecic, M’Bengue (3), Ladefoged (3), Andersen (3), Fraatz, Babak (4), Stutzke (3).

 

HSV Hamburg – VfL Gummersbach 33:33 (18:17). 

VfL Gummersbach: Rebmann, Ivanisevic – Vidarsson (4), Kodrin, Vujovic (11/1), Köster (7), Blohme (3), Oskarsson (1), Häseler, Schluroff (1), Tskhovrebadze (2), Mappes, Pregler (3), Wurz, Kiesler (1), Zeman.