Das große Rätsel um Drinbleiben, Aufstieg und Abstieg.
Wahnsinn: Aufderhöher Schicksal hängt von Hamburg ab
Lizenz-Krimi um den Handball Sport Verein Hamburg zieht weite Kreise - über die 3. Liga bis in die Regionalliga, Oberliga und Verbandsliga.

Finde die Lücke! Spielertrainer Tim Gentges (Mitte) hat mit den Aldekerkern auf dem Weg zum Ziel Klassenerhalt vermutlich noch einen harten Weg vor sich – vielleicht sogar über eine Art Nachsitzen. Maximilian Schmidt (Nummer 6) und Fynn Johannmeyer (25) sind mit den Opladenern schon durch. (Foto: Carsten Wulf)

Ich fasse es nicht. Die ganze Nummer hat tatsächlich das Zeug zum Thriller – und Autoren, die auf der Suche nach passenden Handlungssträngen sind, mögen doch bitte mal einen Ausflug in den Handball wagen. Dort liegt wenigstens in diesem Fall eine Geschichte auf der Straße und wartet nur darauf, niedergeschrieben zu werden. Und wie irrwitzig das ist: Sie beginnt irgendwo in Hamburg, das ja mit 1,9 Millionen Einwohnern durchaus als Weltstadt durchgehen kann. Zu tun hat das alles aber weder mit dem, was sich im riesigen Hafen abspielt, noch mit dem, was sich im Vergnügungsviertel St. Pauli mit der Reeperbahn vermutlich vor allem nächtens tut. Es dreht sich tatsächlich „nur“ um Handball – jenen Sport, der sich gerne so professionell gibt und doch manchmal wie sein eigener Zerstörer daherkommt, weil mal wieder Neben-Schauplätze die meiste Aufmerksamkeit beanspruchen. Und dann wirkt, weil echt alles mit allem zusammenhängt, das Ganze wirklich bis nach Solingen, das mit 160 000 dort lebenden Menschen per Definition ebenfalls eine Großstadt ist und vor allen Dingen in der Herstellung von Klingen als weltweit führend gilt und deshalb den Titel „Klingenstadt“ trägt. Ein Teil davon ist Aufderhöhe, das dem Namen entsprechend auf der Höhe und rund acht Kilometer vom Zentrum Solingens entfernt liegt. Mitten ins Zentrum der Ereignisse scheint dabei gerade der Verein TSV zu rücken – und den großen Handball nach Aufderhöhe zu holen. Leute, Leute, Leute: Der große Handball Sport Verein Hamburg aus der 1. Bundesliga bildet mit zusammen mit dem kleinen TSV Aufderhöhe aus der Verbandsliga eine Art Schicksalsgemeinschaft, beide sitzen irgendwie in einem Boot. Wie das eigentlich sein kann, versuchen wir im Folgenden zu erläutern.

Alles beginnt vor ein paar Wochen mit der Vergabe der Lizenzen für die 1. und 2. Bundesliga. Die Hamburger sollen dabei sein – falls sie bis zum 3. Mai eine Bedingung erfüllen, die ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nachweist. Am 3. Mai teilt die Lizenzierungskomission der HBL, die immer stark betont, sie sei unabhängig, öffentlich mit: Der Nachweis sei nicht fristgemäß erbracht. Mit einer  Beschwerde beim Präsidium der HBL bleibt der Verein ebenfalls erfolglos, sodass er nach dem Stand von heute (15. Mai 2024) nicht am Spielbetrieb der Saison 2024/2025 teilnehmen darf und unabhängig von der Endplatzierung in der laufenden Serie 2023/2024 (zurzeit Neunter) als Absteiger gilt. Das käme natürlich in erster Linie dem Bergischen HC entgegen, der als 17. zurzeit den ersten der beiden Abstiegsplätze belegt und den Klassenerhalt auf normalem Weg eher verfehlen als noch schaffen würde. Kurze Formel: Müsste der HSV runter (und zwar in die höchste Klasse seines Landesverbandes), bliebe der BHC drin – was aus rein sportlicher Sicht ziemlich unverdient wäre. Und ganz nebenbei ist es mit den Rechtswegen aus Sicht der Hamburger noch nicht vorbei: Sie haben als letzte Instanz das Schiedsgericht des Verbandes (Deutscher Handball-Bund) angerufen. Und hier wird es jetzt wunderbar noch komplizierter, denn für dieses Gremium sind die beiden Streitparteien HBL und HSV Hamburg mit ihren Juristen praktisch automatisch qualifiziert – und sie müssen sich auf einen Dritten im Bunde einigen, auf einen Vorsitzenden Richter. Die drei werden bei ihrem Termin aber nicht etwa Skat oder ein anderes Kartenspiel spielen, sondern den Fall behandeln und ein folgenreiches Urteil fällen müssen. Darin können sie entweder dem HSV die Lizenz zusprechen oder die Verweigerung bestätigen. Unter dem Strich ist selbst eine Wischi-Waschi-Lösung denkbar: Darin bekommt der Verein die Lizenz und gleichzeitig wollen alle einer weiteren juristischen Auseinandersetzung aus dem Weg gehen. Soll heißen: Man stockt die 1. Liga auf 19 Vereine auf. Auch dann gäbe es nur einen Absteiger – was mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der aktuelle Letzte HBW Balingen-Weilstetten wäre.

Mitrechnen ist erstens erlaubt und ergibt zweitens, dass bei lediglich einem Absteiger aus der 1. Bundesliga in der 2. Bundesliga ebenfalls nur einer die Klasse verlassen müsste. Das wäre nach dem Jetzt-Stand zu hundert Prozent der Letzte EHV Aue, der den Rückstand ans rettende Ufer nicht mehr aufholen kann. Drin bliebe aber der Vorletzte TuS Vinnhorst, dessen sonstige Chance auf den Klassenerhalt drei Spieltage vor Schluss maximal im Promillebereich liegt. Bliebe auch Vinnhorst drin, stellt sich direkt die nächste Frage: Wirkt sich das auf die Anzahl der Absteiger aus der 3. Liga aus? Es wirkt. Und es steht längst fest, wie das konkret auszusehen hat. Drittliga-Spielleiter Andreas Tiemann bestätigt den Plan, der in der Schublade liegt: „Bei Bedarf gibt es eine Relegationsrunde.“ Die Details dazu nennt die Anlage C zu den derzeit geltenden Durchführungsbestimmungen für die 3. Liga – gerade für den Fall, dass es um Rang 14 in der aktuellen Abschluss-Tabelle geht und zumindest einen freien Platz für die Serie 2024/2025. Sollten an dieser „Relegation“ vier Klubs teilnehmen, gäbe es mit Hin- und Rückspielen zuerst Duelle Nord-West gegen Nord-Ost und Süd gegen Süd-West. Weiter geht es so: „Sofern notwendig, ebenfalls in Hin- und Rückspiel, Spiel 2 gegen Spiel 1.“ Bei drei Teilnehmern gibt es eine Einfachrunde im Modus „Jeder gegen Jeden“, bei zwei Startern ein Hin- und ein Rückspiel. Für wen das interessant sein könnte, wird sich erst zu zeigen haben. Einer der Kandidaten aus der Gruppe Süd-West ist dabei unter anderem der Zwölfte TV Aldekerk, der über dem Strich nur jeweils einen Punkt besser dasteht als der TV Homburg und die TSG Haßloch auf den Rängen 13 und 14. Rechnerisch könnte zurzeit auch der Letzte Interaktiv.Handball durch zwei finale Siege ein Stück klettern und diesen letzten Strohhalm ergreifen, aber die Chance ist verschwindend gering – und die Ratinger müssen nach allen Gesetzen der Wahrscheinlichkeit als fester Absteiger gelten.

Alles zusammen würde sich natürlich auch auf die Regionalliga auswirken, deren Saison 2023/2024 seit dem vergangenen Wochenende Geschichte ist. Der eine feste Absteiger ist Borussia Mönchengladbach und der zweite fast nicht mehr zu vermeidende die SG Langenfeld, der allenfalls noch ein Maxi-Wunder aus Ratingen helfen würde. Auf einem heißen Schleudersitz hängt der Zwölfte MTV Rheinwacht Dinslaken fest, der dringend auf die Rettung der Aldekerker angewiesen ist, weil es dann bei einem Drittliga-Absteiger aus dem Verband Nordrhein bleibt und eben nur zwei Teams aus der Regionalliga den Gang in die Oberliga antreten müssten. Den Dinslakenern wäre es am Ende wohl ziemlich gleichgültig, dass sich die Entscheidung eventuell noch ein bisschen länger ziehen würde als ohnehin schon: Früher als am 25. Mai kann es auf keinen Fall sein, weil die 3. Liga erst an diesem Tag ihren letzten Spieltag absolvieren wird. Sollte es anschließend zur oben erwähnten „Relegationsrunde“ kommen, könnte es direkt am ersten Juni-Wochenende los- und weitergehen. Eventuell steht demnach erst in rund vier Wochen genau fest, wer in der 3. Liga und in der Regionalliga die Klasse hält. Teilnehmen an der „Relegationsrunde“ darf im Übrigen nur, wer innerhalb der dafür vorgesehenen Frist (15. Mai) für die Saison 2024/2025 in der 3. Liga gemeldet hat. Wer, aus welchem Grund auch immer, nicht gemeldet hat, bleibt fürs Nachsitzen  draußen. Möglicherweise gibt es ja sogar den einen oder anderen, der die Frist versäumt oder sowieso kein Interesse hat.

Es wäre zu einfach, hätte die ganze Geschichte hier zu Ende. Sie zieht sich vielmehr noch ein bis zwei Etagen nach unten. Durch die Neuordnung der Klassen im Bereich des Verbandes Nordrhein wird es dort demnächst drei Gruppen geben (bisher zwei/Oberliga Mittelrhein und Oberliga Niederrhein). Für eine künftige dritte Gruppe stehen dem Mittelrhein vier Plätze zu und dem Niederrhein zehn – die aus den beiden bisherigen Verbandsliga-Gruppen des Niederrheins kommen sollen. Das sind nach Abschluss der Saison aus der Gruppe 1 der Meister HSV Dümpten sowie die HSG VeRuKa, der MTV Rheinwacht Dinslaken II, der ASV Süchteln und der SC RW Oberhausen und aus der Gruppe 2 der Meister Bergische Panther II  sowie die HSG Am Hallo Essen, der Ohligser TV, der MTV Horst Essen und die Cronenberger TG. Wer letztlich mit wem genau in welcher Gruppe untergebracht wird, ist noch unklar. Klar ist immerhin, dass sich hier ebenfalls ein zusätzlicher Blick nach oben lohnt: Gibt es nur einen Absteiger aus der 1. Bundesliga und nur einen aus der 2. Bundesliga und bleibt es – notfalls über die „Relegationsrunde“ – bei einem Absteiger aus der 3. Bundesliga und damit zwei Absteigern aus der Regionalliga Nordrhein, wäre nach dem ebenso ausführlichen wie komplizierten Verteilungsschlüssel ein weiterer Oberliga-Platz für die Verbandsligisten vom Niederrhein übrig. Und hier beginnt sich der Kreis langsam zu schließen, denn die Beteiligten haben sich was völlig Verrücktes ausgedacht. Die Quintessenz: Wir spielen einfach schon mal. Dann haben wir, was wir vielleicht nicht brauchen – oder vielleicht doch. Entsprechend gibt es eine amtlich zementierte „Aufstiegsrunde Verbandsliga Gruppe 1/Gruppe 2“, an der die jeweiligen Sechsten der Abschluss-Tabellen teilnehmen. Los geht es bereits am 25. Mai um 16.45 Uhr (der letzte Drittliga-Spieltag startet erst zwei Stunden später) mit dem Hinspiel zwischen dem TV Aldekerk II (Sechster Gruppe 1) und dem TSV Aufderhöhe (Sechster Gruppe 2). Eine spannende Randnotiz: Sollte sich das Glück auf die Seite der Aldekerker schlagen, schafft die Erste den Klassenerhalt in der 3. Liga und die Zweite steigt in die Oberliga auf. Das würden nachvollziehbar lieber die Aufderhöher für sich in Anspruch nehmen – und sie haben den kleinen Vorteil, dass sie das Rückspiel am 29. Mai zu Hause austragen können. Spätestens dann bildet der große Handball Sport Verein Hamburg aus der 1. Bundesliga zusammen mit dem kleinen TSV Aufderhöhe aus der Verbandsliga eine Art Schicksalsgemeinschaft, beide sitzen irgendwie in einem Boot. Leute, Leute, Leute.