1. Bundesliga
Total verrückt: Gummersbach und die lahmen Zebras
VfL demontiert den Rekordmeister THW Kiel beim 40:29 vor allem in der ersten Halbzeit und hat nun beste Chancen auf Platz sechs.

Applaus, Applaus: Trainer Gudjon Valur Sigurdsson schien manchmal selbst kaum glauben zu können, wie seine Gummersbacher den THW Kiel entzauberten. (Foto: Thomas Schmidt)

VfL Gummersbach – THW Kiel 40:29 (21:10). Der eigentlich so große THW Kiel war schon nach ein paar Minuten auf Zwergenmaß geschrumpft und Trainer Filip Jicha draußen der Verzweiflung nahe. Weil der Rekordmeister, der sich selbst „Zebras“ nennt, mit einem schon fast leeren Tank im Oberbergischen angekommen zu sein schien und einfach keine freie Zapfsäule mehr finden wollte, um irgendwie in die Partie zu finden. Jicha, der in seiner Karriere als Spieler und Trainer unendlich viel erreicht und dabei noch mehr erlebt hat, wirkte immer wieder fassungslos angesichts dessen, was er auf der Platte sah: Hier seinen lahmen und lahmenden THW, der demnächst am 8. und 9. Juni in Köln wieder am Final-Four-Turnier der Champions League teilnimmt, und dort die mit 120 Prozent Leidenschaft und Willen zum Sieg um jeden Ball kämpfenden Gummersbacher, die diesen sonntäglichen Spätnachmittag zu einer demütigenden Tortur für die Gäste aus Schleswig-Holstein machten. Es lagen in der Summe echte Welten zwischen den beiden Teams – wie in der Hinrunde, aber mit ganz anderen Vorzeichen. Und in den vergangenen neun Monaten hat sich seit jenem 31. August und dem zweiten Spieltag offensichtlich eine Menge verändert, weil damals der bisweilen naive VfL bei seiner 30:41-Pleite der Verprügelte war, jetzt eben alles zurückzahlte und sich in der Gunst der Stunde fast an sich selbst berauschte – was ganz nebenbei auch für die eigenen Ambitionen richtig wertvoll war. Während die Kieler ihren Blick als Vierter (44:20 Punkte) hinter dem SC Magdeburg (58:6), den Füchsen Berlin (54:10) und der SG Flensburg-Handewitt (48:16) inzwischen offensichtlich voll und ganz aufs Final Four richten, untermauerte der VfL (39:25) seinen sechsten Platz, der in dieser Saison wieder die Eintrittskarte für die European League bringt – was vor allem mit den Ergebnissen aus dem aktuellen Wettbewerb zu tun hat.

Dort machten die SG Flensburg-Handewitt und die Füchse bereits durch ihren Einzug ins Finale (36:31 für Flensburg) den Weg frei für den Bundesliga-Sechsten, den die Gummersbacher nun mit klaren Vorteilen im Fernduell mit dem aktuellen Siebten TSV Hannover-Burgdorf (36:28) ermitteln. Die vorletzte Aufgabe führt den VfL dabei am Donnerstag zur hohen Hürde nach Flensburg – wo sie die Gala gegen Kiel sicher aufmerksam zur Kenntnis genommen und als Warnung abgespeichert haben. Vermutlich geht die SG im Norden der Republik selbst nicht davon aus, dass sie jenes 42:32 vom 25. November 2023 in der Schwalbe-Arena gegen diese Gummersbacher so einfach wiederholen kann. Ein Sieg der Flensburger wäre dennoch keine Sensation – und für den Fall einer Niederlage bekäme der VfL zum Abschluss am 2. Juni gegen FrischAuf Göppingen (15./23:41) die zweite Gelegenheit, aus eigener Kraft auf den Weg in die European League einzubiegen. Eine andere Möglichkeit: Hannover lässt am Mittwoch bei der HSG Wetzlar (Zwölfter/25:39) etwas liegen und bereits ein Unentschieden wäre hilfreich für den VfL, weil Hannover damit schon bei 29 Minuspunkten stünde. Und bei Punktgleichheit am Ende, dann bei einer Gummersbacher Niederlage in Flenburg und gegen Göppingen denkbar, wäre das Torverhältnis entscheidend. Dort nimmt das Team von VfL-Trainer Gudjon Valur Sigurdsson mit plus 33 gegenüber plus 2 für die TSV ebenfalls einen Vorteil mit in den Endspurt.

Wie der VfL die Kieler beherrscht, ist betörend für die eigenen Fans und verstörend für alle, die es eher mit dem THW halten. Neun Minuten und 31 Sekunden sind gespielt, als Jicha zum ersten Ball den Auszeit-Buzzer drückt: Vom 4:6 (7.) sind die total überforderten Gäste innerhalb von 168 Sekunden durch einen 0:4-Lauf mit 4:10 ins Hintertreffen geraten. 17 Minuten und neun Sekunden sind gespielt, als die zweite Auszeit folgt: Diesmal sind die Kieler vom 6:12 (12.) durch eine 0:3-Serie innerhalb von immerhin 310 Sekunden mit 6:15 ins Hintertreffen geraden. Wie sich die beiden Gesprächsrunden auswirken? Jedenfalls nicht wirklich positiv für den THW, der gegen längst euphorisierte Hausherren direkt das 6:16 (18.) und 6:17 (20.) kassiert und etwas später beim 8:21 (26.) sogar mit unfassbaren 13 Treffern zurückliegt. Dass die Gummersbacher diese Partie als Gewinner beenden werden, steht zu diesem Zeitpunkt längst fest – und sicher ist auch, dass es so im zweiten Durchgang nicht weitergehen wird. Bezeichnend für den krassen Unterschied zwischen dem VfL und dem THW an diesem Sonntag ist dann eine Szene aus der 41. Minute, die von Julian Köster ausgeht – der mit seinem Wurf zunächst an Kiels Keeper Thomas Mrkva scheitert. Der zur Seite abgewehrte Ball landet anschließend irgendwie beim hellwachen Rechtsaußen Lukas Blohme, der aber eigentlich kaum ans Spielgerät gelangen kann und erst recht nicht ordentlich abschließen kann. Kiels Eric Johannsson tut ihm allerdings den Gefallen und greift relativ unglücklich ein – was Blohme jedoch nicht am 27:15 zu hindern vermag und Johannsson selbst zusätzlich noch eine Zeitstrafe einbringt. Wenig später stellt Ellidi Vidarsson mit dem 28:15 (42.) erneut auf 13 Tore Differenz für den VfL, der diesen Abstand bis zum 32:19 (46.) hält und sicher hervorragend damit leben kann, dass er die restliche Viertelstunde „nur“ kontrolliert und mit 8:10 verliert. Zweistellig bleibt es ja trotzdem. Und der eigentlich so große THW Kiel bleibt nach der Schluss-Sirene auf Zwergenmaß geschrumpft.

Kein Wunder: Die Gefühlswelten der verantwortlichen Cheftrainer lagen hinterher um Lichtjahre auseinander. „Das Spiel heute ist genau umgekehrt gelaufen wie das Hinspiel in Kiel, als uns Kiel überrannt hat“, urteilte VfL-Trainer Gudjon Valur Sigurdsson, „heute ist uns alles gelungen. Man hat deutlich gesehen, dass der THW bald im Final Four der Champions League spielt und das in den Köpfen der Spieler, auch wenn man es zu vermeiden versucht, ein Thema war. Wir dagegen tun alles dafür, um die Qualifikation für das internationale Geschäft zu schaffen. Ich bin sehr zufrieden und stolz auf meine Mannschaft, die um jeden Ball gekämpft hat. Wir konnten von den technischen Fehlern der Kieler profitieren, unsere Tempogegenstöße laufen – und wir waren sehr effektiv. Man darf das aber nicht dramatisieren. Nach der Halbzeit war das Spiel fast gelaufen und wir konnten sie auf Abstand halten.“ Kollege Jicha musste sich letzlich sogar zusammenreißen, um nicht noch deutlicher zu werden: „Wir sind dieses Spiel naiv angegangen. Wir haben versucht, uns mit voller Intensität vorzubereiten, wurden aber von der Energie und Geschwindigkeit von Gummersbach überrannt. Wir haben eine Phase gehabt, die wir mit 2:11 verlieren, und geben da komplett alles aus der Hand. Gummersbach dagegen war mit voller Leistung und Energie da und zieht uns die Hose aus. Ich bin sehr enttäuscht und es fühlt sich demütigend an. Jeder von uns hat einfach etwas weniger gemacht als sonst. Es gab kein Kreisläufer-Spiel, kein Torhüter-Spiel und keinen Rückzug. Uns stand eine Mannschaft gegenüber, die sehr präsent war. Mehr möchte ich dazu nicht sagen, sonst wird es vermutlich persönlich.“

VfL Gummersbach: Rebmann, Ivanisevic – Vidarsson (3), Kodrin (4), Vujovic (4/2), Köster (4), Blohme (6), Oskarsson (1), Häseler (1), Schluroff (5), Tskhovrebadze (2), Mappes (4), Pregler, Horzen (6), Kiesler, Zeman.