1. Bundesliga
Wolke sieben für Gummersbach, Liga zwei für den BHC
VfL festigt mit 33:32 gegen Göppingen seinen Startplatz in der European League. Bergischer HC steht nach 30:40 gegen Flensburg vor einem Scherbenhaufen.

Große Sprünge? Machte in der gerade zu Ende gegangenen Saison nur Lukas Blohme (beim Wurf) mit dem VfL Gummersbach. Torhüter Christopher Rudeck blieb mit dem Bergischen HC oft nur das Backen deutlich kleinerer Brötchen. (Foto: Thomas Wirczikowski)

Es ist der 9. Juni 2019. Der Bergische HC trifft am letzten Spieltag der Saison 2018/2019 auf die SG Flensburg-Handewitt. Vor offiziell 10043 Zuschauern im riesigen PSD Bank Dome in Düsseldorf. Das Team, damals noch unter der Regie von Sebastian Hinze (heute bei den Rhein-Neckar Löwen), verliert am Ende mit 24:27 gegen die dadurch als Deutscher Meister feststehenden Flensburger, kann sich diese Niederlage aber locker erlauben: In der Abschluss-Tabelle springt ja bei 38:30 Punkten trotzdem der sechste Platz heraus und einen Gedanken an den Abstieg müssen sie im Verein in keiner einzigen Sekunde verschwenden. Die Perspektive für das, was kommen mag, scheint sogar ziemlich vielversprechend zu sein. Und fünf Jahre später? Es ist der 2. Juni 2024. Der Bergische HC trifft am letzten Spieltag der Saison wieder auf die SG Flensburg-Handewitt. Vor offiziell 5112 Zuschauern, also der Hälfte von seinerzeit, im riesigen PSD Bank Dome in Düsseldorf. Diesmal verliert das Team, bei dem sich inzwischen nach der Trennung von Jamal Naji (April 2024) in Arnor Thor Gunnarsson, Markus Pütz (vorher Co-Trainer) und Fabian Gutbrod (Sportkoordinator) ein Dreier-Gremium die Verantwortung teilt, am Ende klar und verdient mit 30:40 gegen die Flensburger, die jetzt als Bundesliga-Dritter und Gewinner der European League ins Rheinland gekommen sind. Und nun kann der BHC die Niederlage ganz und gar nicht locker wegstecken, weil sie für den Verein drastische Folgen hat: Die 20:48 Zähler reichen nur für Rang 17 – und zusammen mit dem Letzten HBW Balingen-Weilstetten (13:55) muss die Mannschaft in die 2. Bundesliga absteigen. Der Absturz ist in der Summe keine Verkettung unglücklicher Umstände, sondern als Folge einer insgesamt viel zu schwachen Saison völlig logisch. Gutbrod bestätigt das nach der finalen Pleite: „Die Flensburger haben irgendwann aufgehört, Fehler zu machen. Kevin Möller hat im Tor ein wahnsinnig gutes Spiel gemacht und die SG ist qualitativ einfach unglaublich gut. Das haben sie ab der 20. Minute gnadenlos gezeigt. Wir sind heute sportlich abgestiegen. Ich finde auch, zu Recht. So hart muss man sein, aber es war sportlich nicht gut genug, was wir in dieser Saison gezeigt haben. Das tut unglaublich weh. Wir haben über eine ganz lange Phase in dieser Saison nicht das Gesicht gezeigt, das wir zeigen wollen. Da sprechen wir über eine Art und Weise, die wir nicht an den Tag gelegt haben, wie wir uns das wünschen. Hätten wir das getan, bin ich überzeugt, dass wir es auch sportlich geschafft hätten.“

Dass der mit seiner Geschäftsstelle in Solingen ansässige Klub zum Abschluss noch einmal alles gab, um nach dem vorherigen Sensationssieg beim Zweiten Füchse Berlin mit dem 30:29 von Eloy Morante Maldonado drei Sekunden vor Schluss das Wunder Klassenerhalt irgendwie zu ermöglichen, war bis unter das Hallendach zu spüren – mehr Einsatz und Leidenschaft wie etwa bei einem Lukas Stutzke sind kaum vorstellbar. Bis zum 13:11 (25.) durften die Gastgeber von einem Erfolg träumen, ehe Flensburg – gestützt auf den starken Keeper Kevin Møller – praktisch wie auf Knopfdruck ein anderes Duell installierte, zur Pause mit 16:14 (30.) führte und direkt am Anfang der zweiten Halbzeit auf 20:15 (35.) erhöhte. In der Folge kontrollierte die SG das Geschehen beinahe nach Belieben, beantwortete später selbst das Aufkommen der Hausherren beim 25:28 (46.) ziemlich unbeeindruckt, legte in der letzten Viertelstunde gegen einen zunehmend chancenlosen Kontrahenten erneut zu und zementierte in der letzten Minute mit dem 40:30 den längst erkennbaren Klassenunterschied. Beim Bergischen HC klammern sie sich jetzt trotzdem noch an zwei verschwindend dünne Strohhalme – die mit dem Lizenztheater um den HSV Hamburg zu tun haben. Immerhin theoretisch denkbar: Die Hamburger, die bis zum Mittwochabend der Vorsicht halber eine Geldsumme X für die kommende Saison hinterlegen müssen, versäumen diese Frist – was allerdings im Grunde undenkbar ist, weil sie für diesen Fall alleine wegen Dummheit keine Lizenz bekommen dürften, sondern ganz sicher abgestiegen gehörten.

Ebenfalls denkbar und bei den BHC-Veranwortlichen ganz oben auf der Ideenliste: Man will versuchen, den Platz in der 1. Bundesliga als Profiteur einer HSV-Verbannung auf juristischem Weg zu erstreiten – wie auch immer das letztlich genau aussehen soll, wie auch immer die Chancen dafür sein sollen, was auch immer das überhaupt (noch) soll. Schon vor dem Finale gegen Flensburg hatte der BHC das hier angekündigt: „Der HSV Hamburg nimmt nachweislich seit mehr als einer Saison entgegen den für alle Klubs geltenden finanziellen Regeln am Spielbetrieb der HBL teil. Richtigerweise hätte die Lizenz für diese Saison nicht erteilt, jedenfalls aber schon längst entzogen werden müssen. Bei pflichtgemäßer Anwendung der HBL-Statuten wäre eine Neuerteilung für die kommende Saison dadurch ausgeschlossen gewesen.“ In der Halbzeit der Partie gegen Flensburg bekräftigte Geschäftsführer Jörg Föste zum wiederholten Mal seinen Standpunkt: „Wir sind mehr denn je davon überzeugt, dass die Erteilung der Lizenz nicht korrekt ist.“ Es passt im Übrigen ins absurde Bild des ganzen und für den Handball schädlichen Wirrwarrs, das am Sonntagabend um kurz nach 18 Uhr der Abstieg nur irgendwie amtlich ist und über allem eine Art Unsicherheitsfaktor schwebt. Das Bild von der zusammenstehenden Familie, das der Handball oft so gerne nach außen trägt, hat längst mehr oder weniger große Risse bekommen. Ob die sich kitten lassen, ist wiederum eine andere Frage.

Wir wechseln den Schauplatz und sehen uns im Oberbergischen um. Und wieder ist es jener 9. Juni 2019. Der VfL Gummersbach tritt zum letzten Saisonspiel bei der SG BBM Bietigheim an. Der Treffer der Gastgeber zum 25:25-Endstand trifft die Gummersbacher mitten ins Herz – weil er in einem irrwitzigen Finale den Gang in die 2. Bundesliga bedeutet. Am Ende stehen die Eulen Ludwigshafen, Gummersbach und Bietigheim bei jeweils 14:54 Punkten und das Torverhältnis muss die beiden Absteiger bestimmen: Es erwischt die Bietigheimer (minus 174) und die Gummersbacher (minus 154), denen die Winzigkeit von einem Treffer zu den Eulen (minus 153) fehlt. Obwohl der Schock nachwirkt, bringt das Jahr eins nach dem Abstieg – unverändert mit Torge Greve als Chefcoach – immerhin in der nach 24 Spieltagen abgebrochenen Serie 2019/2020 den vierten Rang in der 2. Bundesliga. Es folgt eine der glücklichsten Personalentscheidungen in der Geschichte des VfL, der den einstigen Weltklasse-Linksaußen Gudjon Valur Sigurdsson als Trainer verpflichten kann und mit dem Isländer an der Seitenlinie am Ende der Saison 2020/2021 auf Platz drei klettert: Dort liegt der VfL mit seinen 55:17 Punkten bloß um Zentimeter hinter den Aufsteigern Hamburg und TuS N-Lübbecke (beide 56:16). Ein Jahr darauf gelingt die Rückkehr in die 1. Bundesliga souverän als Meister (62:14) und im Anschluss springt in der Saison 2022/2023 der zehnte Platz (33:35) fernab jeder Gefahr heraus. Bereits hier hat Gummersbach den damaligen Zwölften Bergischer HC (30:38) abgehängt.

Die jetzt beendete Saison 2023/2024 dokumentiert vor allem, dass zwischen diesen beiden Klubs mittlerweile zu hundert Prozent mehrere Galaxien liegen. Gummersbach erzielt erstens ein ausgeglichenes Auswärtskonto (17:17) und muss in der Schalbe-Arena in 17 Heimspielen nur drei Niederlagen hinnehmen (26:8). In der Summe bedeuten die 43:25 Punkte den sechsten Rang, den Sigurdssons Team im Endspurt gegenüber der TSV Hannover-Burgdorf (39:29) verteidigt und sich so tatsächlich für die European League qualifiziert. Dabei zeigen gerade die beiden letzten Saisonspiele, dass der Aufschwung des VfL nicht auf reinem Zufall beruht: In Flensburg (Dritter/50:18) nutzt er konsequent aus, dass die SG von den allgemeinen Feierlichkeiten rund um den Triumph in der European League sichtlich noch nicht wieder auf der Höhe des Schaffens unterwegs ist, und gegen die Göppinger (15./23:45) gelingt in einer für beiden Seiten grundsätzlich nicht mehr nachhaltig wichtigen Partie nicht zum ersten Mal ein perfektes Finale, in dem erneut ein bestimmtes Puzzlestück an den genau richtigen Platz fällt. Nach dem 18:12 (34.) und 20:15 (39.) wird es später noch einmal richtig eng – obwohl Gummersbach beim 32:28 (56.) immerhin mit vier Toren führt. Göppingen gleicht aber nach einer Auszeit der Gastgeber (59.) durch den vierten Treffer hintereinander in der letzten Minute zum 32:32 aus – und ist trotzdem kurz darauf geschlagen. Genau eine Sekunde vor der Schluss-Sirene vollendet Ole Pregler den letzten Gummersbacher Angriff zum 33:32-Endstand.

Dass sie im Oberbergischen und im Bergischen in der kommenden Saison ebenfalls sicher in verschiedenen Galaxien unterwegs sind, zeigte sich im Übrigen auch in Düsseldorf und Hannover. Erfolgreichster Flensburger Werfer war mit neun Toren Teitur Einarsson – jener Linkshänder, der demnächst im Trikot des VfL aufläuft. Und für den HC Erlangen (16./22:46) zeigte Keeper Bertram Obling trotz der 23:27-Niederlage bei der TSV Hannover-Burgdorf (Siebter/39:29) ein paar spektakuläre Paraden – jener Torhüter, der bald ebenfalls nach Gummersbach kommt. Darüber hinaus konnten die Verantwortlichen im französischen Welt- und Europameister Kentin Mahé einen Handballer verpflichten, der von Können und Erfahrung her eine Führungsrolle einnehmen soll/muss. Für den Moment sieht es in der Summe ganz danach aus, dass die Gummersbacher gut eingerichtet sind auf das, was da kommen wird. Worauf sie beim Bergischen HC eingerichtet sind? Vielleicht eher auf nichts. Und falls doch, liegt der größte Teil davon irgendwo im dichten Nebel.

SG Flensburg-Handewitt – VfL Gummersbach 28:34 (15:15). 

VfL Gummersbach: Rebmann, Ivanisevic – Vidarsson (2), Kodrin (1), Vujovic (8/2), Köster (4), Blohme (2), Oskarsson, Häseler, Schluroff (3), Tskhovrebadze (5), Mappes (1), Pregler (4), Horzen (4), Kiesler, Zeman.

 

VfL Gummersbach – FrischAuf Göppingen 33:32 (15:11). 

VfL Gummersbach: Rebmann, Ivanisevic – Vidarsson, Kodrin (6), Vujovic (3/3), Köster (5), Blohme (5), Oskarsson (2), Häseler, Schluroff (2), Tskhovrebadze (1), Mappes (2), Pregler (3), Horzen (3), Kiesler (1), Zeman.

 

Füchse Berlin – Bergischer HC 29:30 (16:15).

Bergischer HC: Rudeck, Johannesson – Beyer (9/4), Servos, Persson, Doniecki, Nothdurf, Krecic (1), M-Bengue (2), Ladefoged (3), Andersson (2), Fraatz (2), Babak (4), Morante Maldonado (3), Stutzke (3), Seesing (1).

 

Bergischer HC – SG Flensburg-Handewitt 30:40 (14:16).

Bergischer HC: Rudeck, Johannesson – Beyer (2), Persson (1), Doniecki, Nothdurft (3), Krecic (1), M’Bengue (2), Ladefoged (4), Andersen (4), Fraatz, Babak (1), Arnesson (2), Morante Maldonado (2), Stutzke (8), Seesing.