2. Bundesliga
Christoph Schindler: „Goggi war kein Marketing-Gag“
Der Geschäftsführer des VfL Gummersbach spricht über die aktuelle Lage und den Traum vom Wieder-Aufstieg in die 1. Bundesliga.

Ansager: Christoph Schindler ist als Geschäftsführer unter anderem dafür zuständig, Entscheidungen vorzubereiten und sie den Fans des VfL Gummersbach zu erläutern. (Foto: Thomas Schmidt)

Angefangen hat alles am 11. August 1983. Das ist jener Tag, an dem Christoph Schindler in Elsterwerda im südlichen Brandenburg geboren wurde. Seine handballerische Grundausbildung bekam er ein paar Kilometer weiter in der Jugend des Nachbarn HC Bad Liebenwerda – und die Karriere begann ab 2001 mit dem Wechsel zum damaligen Nord-Zweitligisten USV Cottbus weiter Fahrt aufzunehmen. Spätestens 2003 kam, was kommen „musste“. Schindler war jetzt im Trikot des TSV Altenholz unterwegs – ebenfalls in der 2. Liga Nord. Und wer ist nur einen Steinwurf weiter in Richtung Norden zu Hause? Richtig: Der große THW Kiel war längst auf den Rückraumspieler aufmerksam geworden und holte ihn per Zweitspielrecht in seinen Kader. Mit dem THW wurde Schindler zweimal Deutscher Meister (2005, 2006) und einmal Supercup-Gewinner (2005). Nach einem Kurz-Engagement bei HBW Balingen-Weilstetten folgte die Station beim TSV Bayer Dormagen, dem 2008 der Aufstieg in die 1. Bundesliga gelang. Der Wechsel im Februar 2010 war die bislang letzte Standort-Änderung des Sportlers Christoph Schindler. Seit über zehn Jahren gehört sein Herz dem oberbergischen Traditionsklub VfL Gummersbach – erst als Spieler, danach als Mitglied der Führungsetage. Was er auf die andere Seite mitgenommen hat und jetzt in der Position des Geschäftsführers vorlebt, ist die Leidenschaft für den Handball und für seinen VfL. Hier hat einer nicht nur seinen Beruf, sondern seine Berufung gefunden. 

Obwohl die Lage zurzeit coronabedingt für den gesamten Sport eher kritisch aussieht, lässt sich beim VfL-Geschäftsführer nicht das geringste Anzeichen von Resignation erkennen. So war das auch schon, als die Gummersbacher noch zum Inventar in der 1. Liga gehörten und 2010 sowie 2011 den Europapokal der Pokalsieger holten – als finale Ausrufezeichen im längst unübersehbaren Trend nach unten, der sich letztlich nicht mehr stoppen ließ. Am 9. Juni 2019 passierte es tatsächlich in einem dramatischen Saisonfinale. Mit dem 25:25 in Bietigheim schien der VfL die Rettung doch noch einmal geschafft zu haben – bis kurz darauf die Nachricht vom auf den letzten Drücker erzielten 31:30 der Eulen Ludwigshafen gegen den TSV GWD Minden die Welt des VfL in ihren Grundfesten erschütterte. Gummersbach stand zum ersten Mal in seiner an Erfolgen unfassbar reichen Vereinsgeschichte als Absteiger aus der 1. Bundesliga fest. In der Kabine sollen hinterher Tränen geflossen sein – und ganz bestimmt im Stillen beim ehemaligen Bundestrainer Heiner Brand, der großen Legende des VfL. Brandt war seinerzeit ebenso traurig wie ehrlich: „Das war nicht normal, was in den Schluss-Sekunden passierte, und der VfL hat auch viel Pech gehabt. Andererseits hatte man die Jahre davor viel Glück. Irgendwann ist das mal aufgebraucht.“ Der VfL Gummersbach in der 2. Liga? Es war/ist die Realität.

Klar: Die aktuellen Unwägbarkeiten der momentan besonderen Situation erfordern erstens jede Menge zeitlichen Einsatz und zweitens viel flexibles Denken. Nervt das nicht, wenn bisweilen der Sport in den Hintergrund zu geraten scheint? Christoph Schindler scheint die Frage kaum zu verstehen – weil er und seine Mitstreiter die Lage akzeptiert haben und nun das Beste für den VfL daraus machen wollen. „Krisen-Management ist doch für uns nicht neu“, sagt der 37-Jährige, „gefühlt haben wir seit zwei Jahren Corona.“ Die Hauptaufgabe: Der VfL soll finanziell wieder auf die Beine kommen – und das trotz des Abstiegs und trotz der zurzeit gravierenden Einschränkungen. Christoph Schindler verweist nicht ohne Stolz darauf, dass die Kosten/Schulden um rund 3,5 Millionen Euro gesenkt werden konnten. Noch stolzer macht ihn die Unterstützung vieler: „Jeder trägt seinen Teil dazu bei.“ Fans und Sponsoren bleiben bei der Stange, die Spieler sind bereit, auf einen Teil ihres Gehaltes zu verzichten. Wenn sich Schindler dann in einer Videobotschaft aus der Schwalbe-Arena an die Dauerkarten-Käufer wendet, kommt seine Bitte um Hilfe an. Da spricht einer, der selbst mal Spieler war. Da redet einer, der sich verständlich ausdrückt – ohne Panik zu verbreiten. Und niemanden nervt es mehr als Schindler selbst, wenn im Schmuckkästchen Schwalbe-Arena die Tribünen leer bleiben müssen. Wenn er sich etwas wünschen dürfte: Dass sich dieser Zustand so rasch wie möglich ändere.

Schmerzfrei: Christoph Schindler (Mitte/hier in einem Spiel gegen den Bergischen HC im Februar 2016) hatte auch als Spieler des VfL Gummersbach wenig Berührungsängste. (Foto: Thomas Schmidt)

Rein sportlich ist der VfL Gummersbach gerade dabei, sich im Unternehmen Wieder-Aufstieg eine ganz gute Ausgangs-Position zu verschaffen. „Wir spielen nicht in der Liga, in der wir sein wollen“, sagt Schindler, „und wir stellen uns immer die Frage, wie wir wieder nach oben kommen.“ In der vergangenen abgebrochenen Saison reichte es mit 31:17 Zählern zu Rang vier hinter den beiden Aufsteigern HSC Coburg (37:11) und TuSEM Essen (34:14) sowie der SG BBM Bietigheim (32:16). Und die ganz große Begeisterung löste das Resultat nicht aus, sodass die Messlatte inzwischen deutlich höher liegt und den Namen „Mission Aufstieg“ trägt. Geht es nach den reinen Zahlen, stimmt der Kurs – weil der VfL nach seinem 26:25 am Sonntagnachmittag gegen den HSV Hamburg mit 10:2 Zählern an der Tabellenspitze steht – vor dem punktgleichen ASV Hamm-Westfalen, dem Dessau-Roßlauer HV (10:4), dem VfL Lübeck-Schwartau (8:4), Hamburg (6:2) und dem EHV Aue (6:2). Der erkennbare gemeinsame Nenner über alle Gummersbacher Auftritte: Ein meisterschaftsreifer Auftritt war bisher nicht dabei. „Wir haben noch Luft nach oben“, gibt Schindler zu. Zum 25:27 in Hamm etwa trug Gummersbach selbst viel bei, beim 30:29 gegen den TV Hüttenberg und beim Erfolg über Hamburg waren fast alleine die Resultate wertvoll. Andererseits: Die Niederlage in Westfalen war nicht mal ein klassischer Ausrutscher, weil der ASV ebenfalls ein hohes Ziel verfolgt – und die bisherigen übrigen Duelle mit Teams aus der oberen Hälfte hat der VfL gewonnen. Diese Serie will er natürlich am kommenden Samstag gegen den mit höchster Vorsicht zu genießenden Aufsteiger Dessau fortsetzen. 

Dass der Glanz von früher irgendwie schon zurück ist im Oberbergischen, hat eine Menge mit dem neuen Trainer zu tun: Auf der Kommandobrücke steht nun Gudjon Valur Sigurdsson, der bis vor ein paar Monaten als Spieler das Trikot des Top-Klub Paris St. Germain trug. Die große öffentliche Resonanz auf die Verpflichtung des 42 Jahre alten Isländers hat den VfL überrascht und stand so nicht an oberster Stelle. „Das war kein Marketing-Gag“, betont Schindler, „es war so, dass Goggi zu hundert Prozent in unser Anforderungs-Profil gepasst hat. Wir wollten einen Trainer, der brennt.“ Der Plan scheint aufgegangen zu sein, obwohl Sigurdsson am Rande eines Spiels eher wie der Typ des unterkühlten Isländers wirkt. Dass er sich mal ernsthaft mit einem Schiedsrichter anlegt und wie ein Vulkan ausbricht, darf als nahezu ausgeschlossen gelten. Goggi, der sich trotz seines unglaublichen Spieler-Erfahrungsschatzes selbst immer noch als Trainer-Novizen mit hoher Lern-Bereitschaft sieht, gilt auf jeden Fall zusammen mit seinem Co-Trainer Anel Mahmutefendic als äußerst wichtiger Baustein auf dem Weg durch die Saison. Beide wollen den qualitativ gut, aber nach der Zahl der zur Verfügung stehenden Spieler nicht üppig besetzten Kader zum maximal möglichen Erfolg führen.

Den Trainer Schindler wird es im Übrigen nach menschlichem Ermessen kaum einmal geben: „Das kam für mich nie ein Frage.“ Außerdem ist er inzwischen genau in seinem persönlichen Ziel-Bereich angekommen: „Das wollte ich schon immer machen.“ Und dafür, dass es gerade besonders viele Komplikationen gibt, lassen sich nach seiner Ansicht nur zwei Lösungen erarbeiten. „Auf der einen Seite kannst du dich jeden Tag bemitleiden“, findet der Geschäftsführer des VfL, der davon – wenig überraschend – eher nichts hält: „Du brauchst Leute, die vorangehen und neue Dinge entwickeln.“ Gar nicht so viel anders hat es vor ein paar Tagen Anja Heinrich ausgedrückt: „Gerade in einer Zeit, in der es vermehrt zu wirtschaftlichen Höchstbelastungen kommt, ist die beste Antwort darauf, Investitionen und Neugründungen im Rahmen unserer Möglichkeiten zu erleichtern.“ So schließt sich der Kreis: Heinrich ist Bürgermeisterin. In Elsterwerda.