11. November 2019 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Viele verweigern sich am Anfang noch einer ganz konkreten Zielsetzung. Man müsse die ersten sieben oder acht Spiele abwarten, um mehr sagen zu können. Jetzt ist es spätestens auch in der Regionalliga so weit und die Harzhelden wollen den Stand der Dinge zusammenfassen, weil über ein Viertel der Saison vorbei ist. Es gibt Entwicklungen, die so keinen besonders überraschen: Wer hätte denn für unmöglich gehalten, dass sich der TuS 82 Opladen und der TV Korschenbroich oben einsortieren? Es gibt aber auch anderes, das sich für die Beteiligten zu einem Alptraum zu entwickeln beginnt: Wer hätte denn für möglich gehalten, dass der Vorjahres-Vizemeister SG Ratingen derart ins Trudeln gerät? Gegen das Rätsel Ratingen ist die schwierige Situation des Vorjahres-Vizemeisters MTV Rheinwacht Dinslaken ja fast ein simples Erklärstück. Wir versuchen, Chancen und Risiken nach dem siebten Spieltag zu beleuchten.
Für den Tabellenführer TuS 82 Opladen spricht zunächst, dass er über eine echte Mannschaft im Wortsinn verfügt. Bei seinen sechs Auftakt-Erfolgen zeigte das Team von Trainer Fabrice Voigt zudem, dass es ein breites Repertoire an handballerischer Klasse bereit hält. Die makellose Serie endete zwar mit der 26:32-Niederlage im Derby bei der SG Langenfeld, die Opladen aber verkraften kann. Erstens ist der TuS 82 immer noch vorne. Und zweitens konnte er die Pleite unter anderem mit dem personell geschwächten Rückraum halbwegs plausibel erklären. Außerdem hat rund um die Bielerthalle keiner erwartet, dass der Spitzenreiter alle 26 Spiele für sich entscheidet. Ebenfalls ein Plus für den Klassenprimus: Er hat in der Hinrunde bereits einige der extrem schwierigen Aufgaben hinter sich und erfolgreich bewältigt – 24:23 in Korschenbroich, 32:28 bei TuSEM Essen II.
Für Opladens ersten Verfolger TV Korschenbroich spricht zunächst, dass er unter allen Regionalligisten zum Beispiel durch die Waldsporthalle über die deutlich besten Rahmenbedingungen für einen Aufstieg in die 3. Liga verfügt. Die gesamte Infrastruktur des Vereins ist darauf ausgerichtet, sich demnächst wieder eine Klasse höher zu betätigen. Trainer Dirk Wolf, der wie sein TuS-82-Kollege Voigt nichts von übertriebenen Erwartungen wissen will, verfügt auch über das geeignete spielende Personal für die Meisterschaft – obwohl die Erfahrung von Linkshänder Viktor Fütterer (Kreuzbandriss) für den Rest der Serie fehlen wird. Das Torhüter-Duo mit Max Jäger und Felix Krüger oder die Außen mit Sascha Wistuba und David Biskamp gehören zum Besten, was die Liga zu bieten hat. Froh dürften sie in Korschenbroich sein, einige der besonders schwierigen Aufgaben bereits hinter sich zu haben – wie das Heimspiel gegen Opladen oder die Partie beim TV Rheinbach (29:28). Das Fernduell mit dem TuS 82 bietet bis Weihnachten ein vergleichbares Programm und einiges spricht dafür, dass dieses Kopf-an-Kopf-Rennen die Winterpause überdauert.
Die große positive Überraschung ist bislang der TV Rheinbach, der 2018/2019 erst in einem dramatischen Finale überhaupt den Abstieg in die Oberliga verhinderte und nun alles tun wird – aber ganz sicher aus dem dritten Platz keine wirklichkeitsfremden Ideen entwickeln will. Es bleibt bei der vor ein paar Wochen ausgegebenen Devise: „Wir wollen nicht wieder bis zum letzten Spieltag zittern.“ Zittern müssen derzeit eher die Großen oder vermeintlich Großen der Liga vor der Mannschaft des Trainergespanns Jan Hammann/Dietmar Schwolow. Das 28:29 gegen Korschenbroich gehörte in die Kategorie unglücklich, warf das Team um Spielmacher René Lönenbach jedoch nicht aus der Bahn. Anschließend holte der TV ein 24:24 in Aldekerk, ehe er gegen TuSEM Essen II mit 24:23 und jüngst in Ratingen sehr überzeugend mit 28:26 gewann. Im Heimspiel am kommenden Samstag wird die aufkommende SG Langenfeld ebenfalls überprüfen, wie stabil die Rheinbacher sind.
Spätestens hinter den Rheinbachern (9:5 Punkte) beginnt mit dem Vierten Aachen (8:6) ein breites Mittelfeld, das zunächst bis zum Neunten HC Weiden reicht (7:7). Weder Aachen noch der Sechste Bonn melden ernsthaft Ansprüche für eine Position ganz oben an. Darauf hat vor der Saison aus zwei Gründen unter anderem auch der Drittliga-Absteiger SG Langenfeld verzichtet. Erstens braucht Trainer Markus Becker noch Zeit, um mit seinem personell deutlich veränderten Team dauerhaft den Wunsch-Handball mit höchstem Tempo vorzutragen. Außerdem hatte Becker vor der Saison als denkbaren Korridor für die Langenfeld eine Position zwischen zwei und sieben herausgefunden – und gleichzeitig den ersten Platz für vergeben erklärt. Da lag er auf einer Linie mit den allermeisten seiner Kollegen, die die Rolle des sehr klaren Titelfavoriten an die SG Ratingen verteilten.
Ratingen, Ende 2018/2019 über den direkten Vergleich hinter dem punktgleichen Meister MTV Rheinwacht Dinslaken über die Ziellinie gekommen (beide 38:14), befeuerte diese Einschätzung selbst, indem es die 3. Liga ohne Einschränkung als Ziel formulierte – was angesichts des zur Verfügung stehenden Personals eigentlich jeder nachvollziehen konnte. Was folgte, war der Nachweis dafür, dass Theorie und Praxis bisweilen nichts miteinander zu tun haben. Bereits vor einem Jahr ließ sich schwer nachvollziehen, dass die mit drei Mazedoniern (Petar Angelov, Filip Lazarov, Ace Jonovski) antretende und um die Ex-Profis Alexander Oelze und Thomas Bahn verstärkte Mannschaft in der Endabrechnung überhaupt hinter Dinslaken landen konnte. Damals ging allerdings ziemlicher jeder davon aus: Beim nächsten Mal macht es die SG.
Die aktuelle Lage in Zahlen ist noch absurder als damals. Das prominent besetzte Ensemble hat alle drei bisherigen Auswärtsspiele verloren, denn nach dem 28:31 in Essen gingen die Ratinger mit dem 26:27 beim Aufsteiger HC Weiden leer aus und danach mit dem 25:31 in Opladen sogar unter. Auf der Habenseite stehen bis jetzt das 34:24 über den damals arg geschwächten BTB Aachen, ein 28:28 gegen die SG Langenfeld und das 25:21 gegen Dinslaken, das endgültig eine Wende zum Besseren einläuten sollte. Diese Hoffnung hat sich aber mittlerweile bei 5:9 Punkten und Rang elf in Luft aufgelöst und selbst eine personelle Rochade entfaltete wenig Wirkung. Die SG beschloss, aus dem Spielertrainer Ace Jonovski den Nur-Trainer Jonovski zu machen und Marcel Müller, den anderen Teil des Trainer-Duos, zum Nur-Spieler. Auch dieser Schuss ging jetzt nach hinten los.
Zur Premiere der neuen Rollenverteilung gab es am vergangenen Samstag eine 26:28-Heimpleite gegen die Rheinbacher und guter Rat wird an der Gothaer Straße immer teurer. Ob es angesichts dieser Entwicklung besonders klug war, für den Rest dieses Jahres eine Forderung von 8:0 Punkten in der Meisterschaft und den Erfolg im Niederrheinpokal ins Schaufenster zu stellen? Die nächsten Gegner werden das registriert haben und sich ihre Gedanken darüber machen. Die SG muss damit rechnen, dass es beim Sechsten TSV Bonn rrh. (16. November) sowie anschließend gegen die HG Remscheid (30. November), bei der HG Siebengebirge (7. Dezember) und gegen den TV Jahn Köln-Wahn (14. Dezember) aus der unteren Tabellenhälfte nicht das kleinste Geschenk geben dürfte. Thema Niederrheinpokal: In Langenfeld denken sie sicher nicht daran, das Halbfinale im Dezember in Ratingen schon vorher als verloren anzusehen. Außerdem gibt es ja dann noch ein Finale gegen den Sieger aus dem Duell des Oberligisten TV Angermund gegen den Verbandsligisten SG Überruhr. Da wären dann sowohl die Ratinger als auch die Langenfelder in der Rolle des Favoriten. Trotzdem kann es manchmal tatsächlich von Vorteil sein, mit offiziellen Ankündigungen ein bisschen abzuwarten.