24. Februar 2020 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Am Ende des Tages sind dann doch noch alle glücklich. Gewinner und Verlierer. Der TuS Derschlag aus der Oberliga Mittelrhein ist am Sonntagabend im Viertelfinale des Deutschen Amateurpokals ausgeschieden – was sicher keinen wie aus dem Nichts trifft. Das Team von Trainer Ralph Weinheimer galt schließlich für die Aufgabe am Sonntagabend beim Regionalligisten SG Langenfeld sowieso als krasser Außenseiter. Deshalb gehört das 30:22 für die SGL definitiv in die Kategorie normal. Dass sich um das Ergebnis keiner schert, hat einen Namen: Paul Borisch. Der 20 Jahre junge Rückraumspieler knallt in der 57. Minute nach einem Foul von Ole Völker (Langenfeld) auf den Hallenboden und bleibt dort reglos liegen. Es folgen dramatisch wirkende Minuten, ehe Borisch transportfertig ist und ins Richrather Krankenhaus gebracht werden kann. Während beide Mannschaften in der Halle den Schock zu beherrschen versuchen und die Partie tatsächlich in einer Art Spiel-mir-den-Ball-zu über die Zeit bringen, beginnen die Ärzte in der Klinik sofort mit der Untersuchung. Die Diagnose erreicht die Fans und Spieler in der Halle nicht mehr, bringt aber allgemeine Erleichterung: Paul Borisch hat Glück im Unglück gehabt, „nur“ eine Gehirnerschütterung erlitten und darf sogar mit nach Hause. Nicht nur die Handballer aus dem Oberbergischen, die selbst einen Sieg für das Wohlergehen ihres Teamkollegen eingetauscht hätten, atmen auf. Die Gastgeber können sich erst jetzt ins Gedächtnis rufen, dass zum zweiten Mal nach 2016 ein Traum wahr werden könnte: Die SGL bekommt am Wochenende 4./5. April bei der sechsten Austragung in Hamburg erneut die Chance, den Deutschen Amateurpokal nach Langenfeld zu holen.
Paul Borisch hat am Montagmittag noch ein bisschen Kopfschmerzen, ist aber ansonsten nach einem ausgiebigen Frühstück tatsächlich wohlauf: „Mir geht es den Umständen entsprechend gut.“ An den Verlauf der spektakulären Szene vom Sonntagabend erinnert er sich immerhin zu großen Teilen: „Ich weiß, dass ich nach dem Stoß in der Luft die Orientierung verloren habe. Dann habe ich noch probiert, nicht mit dem Rücken aufzukommen, und bin mit der Schläfe voll auf dem Boden gelandet.“ Folge: Der 20-Jährige verliert vorübergehend das Bewusstsein. Dass TuS-Physiotherapeut Thomas Berscheid mit ihm spricht, bekommt er mit – und Paul Borisch weiß direkt wieder, wo er ist und um was es geht. Als er auf der Trage zum draußen wartenden Rettungswagen gerollt wird, geht der 20-Jährige selbst bereits davon aus, dass es vielleicht doch nicht ganz so schlimm ist. Den aufmunternden Applaus in der Halle nimmt er mit ins Krankenhaus, wo eine eingehende Untersuchung für die fehlende Bestätigung sorgt. Selbst vorsorglich angefertigte Röntgen-Aufnahmen der Wirbelsäule sind völlig unauffällig.
Vorwürfe an seinen Gegenspieler Völker sind kein Thema für Borisch: „Wir sind alle Sportler. Er hat sich auch sofort bei mir gemeldet.“ Und an seiner Art, Handball zu spielen, wird der junge Derschlager nichts ändern: „Das glaube ich kaum. Handball ist halt ein Kontaktsport. Außerdem packe ich ja hinten selber gerne zu.“ Für den Rest dieser Woche wird sich der Rückraumspieler der Schonung wegen viel im Bett aufhalten und dann allmählich in Absprache mit dem Arzt darüber entscheiden, wann die Zeit für eine Rückkehr aufs Feld reif sein könnte. Das letzte Drittel der Saison 2019/2020 in der Oberliga Mittelrhein gedenken weder die Derschlager allgemein noch Borisch speziell austrudeln zu lassen. „Wir wollen probieren, uns noch ein oder zwei Plätze nach oben zu schieben, wir wollen die Serie top zu Ende bringen“, sagt Borisch, der mit dem Team derzeit auf dem fünften Platz liegt (22:10 Punkte). Besonders das Programm im März hat es demnächst in sich, denn es geht mit vier Partien innerhalb von 13 Tagen weiter – beim Vierten Refrath/Hand (1. März), gegen den Spitzenreiter HC Gelpe/Strombach (8. März), beim Sechsten SSV Nümbrecht (10. März/Nachholspiel) und beim Siebten TV Birkesdorf (14. März).
Der sportliche Teil des Pokal-Abends lässt sich noch einmal schnell zusammenfassen. Derschlag, das ohne seine stärksten Rückraumspieler Michael Romanov auskommen muss (Virus-Infektion), überrascht mit einer für seine Verhältnisse sehr offensiven 5:1-Abwehr und hat vorne immer wieder ein paar gute Ideen. Der TuS versucht, sich gegen das extrem hohe Tempo der Hausherren zu stellen, indem er so oft wie möglich die Geschwindigkeit herausnimmt – um die SGL einer Stärke zu berauben und die vorhandenen Kräfte so lange wie möglich vernünftig einzuteilen. Das gelingt alles bis zum 10:8 (20.) durch Thorben Schneider, ehe der Favorit die Sache in den Griff bekommt. Kein unwesentlicher Faktor: Jetzt steht der zuvor auf der Bank sitzende André Moser am Regiepult und mit der Ruhe des 31-Jährigen bekommen die Angriffe erheblich mehr Struktur. Die allgemeine Hektik weicht und das Tempo bleibt trotzdem hoch – viel zu hoch für Derschlag, das bei nachlassender Kraft seine zuerst eher geringe Quote zu weit nach oben schraubt.
Den Beweis in Zahlen für die personelle Überlegenheit der Hausherren bietet der offizielle Spielbericht: Die SGL kann aus dem Vollen schöpfen und jeden seiner elf anwesenden Feldspieler einsetzen. Am Ende haben dann alle mindestens einen Treffer erzielt. Es ist die ungewöhnliche Ausgeglichenheit, an der die Gäste scheitern müssen. Um eine wenigstens kleine Chance aufs Weiterkommen zu haben, wären für sie eine vollere Bank mit entsprechender Möglichkeiten und dann noch eines perfekter Tag nötig gewesen. Beides gab es aber nicht. „Mir war klar, dass es am Anfang schwierig für uns wird“, findet SGL-Coach Markus Becker, während sein Spielmacher André Moser seinen eigenen Beitrag nach der Einwechslung nicht zu hoch einschätzen mag: „Da waren die anderen ja schon müde.“ Obwohl er damit eins der Derschlager Probleme nennt, machte TuS-Trainer Weinheimer seiner Mannschaft keinerlei Vorwürfe fürs Nachlassen: „Wir haben uns nichts vorzuwerfen, wir haben uns anständig verkauft.“
Die SGL bekommt es am 4. April (Samstag) um 12.30 Uhr in der Sporthalle Wandsbek mit der MSG HF Illtal aus dem Handball-Verband Saar zu tun. Der aktuelle Sechste der Oberliga Rheinland/Pfalz Saar tat sich beim 28:23 in seinem Viertelfinale gegen den TuS Helmlingen wie die SGL zunächst schwer und geriet vor der Pause in Rückstand. Ab der 40. Minute kippte das Duell allerdings zugunsten der Hausherren, die eine seit 2002 bestehende Spielgemeinschaft aus den Sportfreunden 04 Uchtelfangen und den Handballern des Turnvereins 04 Dirmingen sind. Offizieller Name: Männerspielgemeinschaft Handballfreunde Illtal. Der durchaus gebräuchliche Name unter Handballern: Illtaler Zebras. Langenfeld sieht seine Hauptaufgabe nun darin, an entsprechende Informationen zu kommen und sich intensiv auf das Hamburger Halbfinale vorzubereiten. Klar: Die SGL will auch den letzten fehlenden Schritt schaffen und am 5. April um 11 Uhr in der Barclaycard-Arena das Finale bestreiten.
Den Gegner dort ermitteln im ersten Halbfinale am 4. April um 10.30 Uhr die SG OSF Berlin und die SG VTB/Altjührden aus Niedersachsen, die im Viertelfinale jeweils die Nerven ihrer Anhänger aufs Äußerste strapazierten. Berlin setzte sich in Sachsen beim HV Oberlausitz Cunewalde knapp mit 26:25 durch, während Altjührden in eigener Halle eine Verlängerung zum hauchdünnen 35:34 über die SG WIFT Neumünster aus Schleswig-Holstein benötigte. Gibt es ein Endspiel zwischen Altjührden und Langenfeld, treffen sich zwei alte Bekannte, denn am Ende der Saison 2018/2019 stiegen beide Aufsteiger gemeinsam direkt wieder aus der 3. Liga ab – Altjührden als Drittletzter (15:45 Punkte), die SGL als Vorletzter (10:50). Sollte es nach den direkten Duellen von damals gehen, hätte Langenfeld ein kleines Plus: Aus Altjührden nahm sie seinerzeit ein 28:28 mit, zu Hause gewann sie am letzten Spieltag der Saison mit 28:18.