Oberliga Mittelrhein
Das Prinzip Handball: Wo kein Kläger, da kein Richter
Die Entscheidung des HVM-Präsidiums, den Spielbetrieb vorläufig auszusetzen, wirft immer noch einige Fragen auf. Ein Kommentar.

Einsammeln, bitte. Im Gebiet des Handball-Verbandes Mittelrhein ruhen die Bälle vorerst nach einer Entscheidung des Präsidiums. (Foto: Harzhelden)

Eines direkt vorweg: Es gibt in Deutschland keine „Corona-Diktatur“. Das Virus ist keine Erfindung und schon gar nicht Teil irgendeiner abstrusen Verschwörung. Es ist eine reale Gefahr für die Gesundheit der Menschen, wie im Übrigen viele andere Krankheiten oder (zum Beispiel sportliche) Betätigungen. Wenn Politiker und Regierende Maßnahmen zur Eindämmung des Virus treffen, tun sie das in aller Regel nach bestem Wissen und Gewissen zum Wohle der Allgemeinheit. Dass auch die Entscheidungsträger dabei vieles (noch) nicht richtig einschätzen können, müssen wir in dieser Phase der Pandemie vermutlich akzeptieren. Reisebeschränkungen, Sperrstunden, Maskenpflicht: Jede Maßnahme trifft den Einzelnen mehr oder weniger hart. Und fast immer findet sich jemand, der fragt: „Dürfen die das?“ Dass zahlreiche Regelungen und Verordnungen immer wieder durch Gerichte aufgehoben werden, ist dabei tatsächlich ein Zeichen einer funktionierenden Demokratie. Die Judikative überprüft jede Entscheidung der Exekutive auf ihre Rechtmäßigkeit – so soll es sein.

Seit Beginn der Herbstferien sind die Infektionszahlen deutschlandweit und damit auch im Harzhelden-Gebiet noch einmal deutlich gestiegen. Da, wo trotz der Ferien trainiert oder gespielt wurde, wurde unter Handballern spätestens seit dem vergangenen Wochenende gemutmaßt, wie lange die Hallen denn noch offen bleiben würden. Insofern ist die Nachricht, dass die Saison im Bereich des Handball-Verbandes Mittelrhein (HVM) unterbrochen wurde, keine besondere Überraschung. Was aber verwundert: Das Präsidium des HVM hat diese Entscheidung in einem kompletten Alleingang getroffen. In einer Mitteilung von gestern (21.10.2020) erklärt der Verband noch auf seiner eigenen Website, dass die zuständigen Behörden, insbesondere das Gesundheitsministerium in NRW, wohl davon ausgehen, dass Handballsport in der derzeitigen Lage weiter möglich ist. Behördlich verboten war er jedenfalls heute Vormittag (22.10.2020) noch nicht. Trotzdem entschied das Präsidium des HVM, den Spielbetrieb vorläufig zu unterbrechen.

Laut der Satzung des HVM ist sein Zweck „die Pflege und Förderung“ sowie die „Vertretung der Interessen“ des Handballsports. Ob eine Entscheidung, den Spielbetrieb im Handballsport einzustellen, in diesem Sinne ist, darf wohl mehr als bezweifelt werden. Natürlich ist auch der Gesundheitsschutz ein förderungswürdiger Zweck – aber eben nicht der, den der HVM laut seiner Satzung zu verfolgen hat. Die Aufgabe des HVM wäre es vielmehr, sicherzustellen, dass die behördlichen Auflagen in den jeweiligen Hallen eingehalten werden, die Vereine bei der Umsetzung einheitlicher Hygienekonzepte zu unterstützen etc. Im schlimmsten Fall – einer behördlichen Untersagung des Handballsports – wäre es sogar die Aufgabe eines Handballverbandes, eine solche Entscheidung zu prüfen und notfalls gerichtlich überprüfen zu lassen. Wer, wenn nicht die Handballverbände, sollten denn die Interessen des Handballsports auch vor Gericht vertreten?

Stattdessen entscheidet sich das Präsidium des HVM ohne jeden Zwang freiwillig zur Einstellung des Spielbetriebs. Vielleicht ist so eine Entscheidung im Sinne der Allgemeinheit vernünftig, vielleicht nicht. Dem Handballsport jedenfalls schadet sie. Es sprechen daher gute Gründe für die juristische Ansicht, dass das Präsidium des HVM diese Entscheidung so nicht hätte treffen dürfen. Wenn überhaupt, hätten alle Mitglieder in einer außerordentlichen Mitgliederversammlung befragt werden müssen. Hätten sich alle Beteiligten dann mehrheitlich entschieden, den Sport im Sinne der Allgemeinheit vorläufig auszusetzen, wäre das wenigstens demokratisch legitimiert gewesen.

So bleibt nur der eine Eindruck: Nicht einmal die Handballverbände, die eigentlich die Interessen des Handballs vertreten sollen, setzen sich nachhaltig für die Fortführung des Handballsports in schwierigen Zeiten ein. Wie immer gilt der alte Grundsatz: Wo kein Kläger, da kein Richter. Solange alle Vereine des HVM die Entscheidung mittragen, wird sie bestehen bleiben. Gegen Beherbergungsverbote am Ostseestrand fanden sich sofort zahlreiche Kläger. Gibt es im Gebiet des HVM auch jemanden, der den Mut hat, zu fragen: „Unterbrechung des Spielbetriebs? Dürfen die das?“