Regionalliga Nordrhein
Schotten dicht: Wie der Verband den Handball verrät
Dass die Aufstiegsrunde zur 3. Liga hinter verschlossenen Türen stattfindet, ist schädlich. Ein Kommentar.

Trostlos: Die Spieler werden bei der Aufstiegsrunde in eine leere Halle kommen. Außer den Teams dürfen nur Schiedsrichter und Kampfgericht anwesend sein. (Foto: Thomas Schmidt)

Zuerst hört du es nur um zwei bis drei Ecken herum. Und du denkst sofort, das können sie nicht machen, das meinen die nicht so. Handball Nordrhein, jener für die Organisation der Regionalliga Nordrhein zuständige Zusammenschluss der Verbände Niederrhein und Mittelrhein, will die Aufstiegsrunde zur 3. Liga ohne Zuschauer austragen. Sogar komplett unter Ausschluss der Öffentlichkeit, heißt es. Also selbst ohne fotografierende und schreibende Presse. Wir ignorieren die Erzählungen. Wir entschließen uns, das in den vergangenen Monaten eingeübte und deshalb längst übliche Verfahren in Gang zu setzen. Und senden einen schriftlichen Akkreditierungs-Antrag an Handball Nordrhein – ziemlich genau 24 Stunden, nachdem am 18. Juni (Freitag) die letzten Details in Sachen Spielplan festgelegt wurden. Zweieinhalb Tage hören wir nichts – keine Zusage, keine Absage, gar nichts. Am Dienstag haken wir deshalb nach. Und gut vier Stunden später bekommen wir eine Mail-Antwort. Unterzeichnet hat sie Lutz Rohmer, der in Personalunion als Vorsitzender den Handball Nordrhein und den Handball-Verband Mittelrhein führt. Als ich den Inhalt gelesen habe, schaue ich aus dem Fenster. Kann das wirklich sein? Meinen die das wirklich ernst? Wissen sie, was sie da tun? Was uns vorliegt, ist eine bunte Mischung an verfehlter Argumentation, die an Amtsanmaßung grenzt. Und das Allerschlimmste: Handball Nordrhein verrät den Handball.

Hier sind die wesentlichen Auszüge aus dem Text: „Wir freuen uns auch sehr, dass wir trotz der Pandemie-Situation auf sportlichem Wege den Aufsteiger in die 3. Liga ermitteln können. Das wollen wir auf keinen Fall gefährden. Der HNR hat mit der Stadt Düsseldorf ein Hygienekonzept abgesprochen, das wir nicht mehr aufschnüren wollen. Darin sind keine Zuschauer oder andere nicht zum unmittelbaren Spielbetrieb erforderliche Personen zugelassen. Hinzu kommt, dass die aktuell neue Coronavariante „Delta“ gerade für die Mehrzahl der Teilnehmer an den Relegationsspielen gefährlich zu sein scheint. Sie führt bei Menschen, die nicht vollständig geimpft sind, zur Erkrankung. Aktuell werden dabei schwere Verläufe nicht ausgeschlossen. Von den Teilnehmern dürften eine Vielzahl noch nicht vollständig geimpft sein. Wir sind daher sehr vorsichtig und versuchen mit unserem Konzept, Risiken weitestgehend zu minimieren. Dazu gehört auch das Festhalten am Ausschluss von Zuschauern und anderen nicht zum unmittelbaren Spielbetrieb erforderlichen Personen. Dafür erbitten wir Ihr Verständnis.“ Die Antwort darauf ist eindeutig: Nein, wir haben kein Verständnis. Nicht das geringste.

Handball Nordrhein ist gemäß seiner Satzung nicht zuvorderst dem Gesundheitsschutz verpflichtet. Dazu gibt es politische oder medizinische Institutionen oder Einrichtungen – wie die Landesregierung oder das Robert-Koch-Institut. Und nun ist in der aktuell gültigen Corona-Schutzverordnung des Landes NRW in Anpassung an die überall deutlich gesunkenen Inzidenzwerte eben wieder erlaubt, bei Sport-Veranstaltungen in der Halle bis zu 1000 Zuschauer zuzulassen – falls das die Kapazität hergibt, denn die Auslastung darf höchstens ein Drittel betragen: „Mit Negativtestnachweis auf fest zugewiesenen Sitz- oder Stehplätzen, sichergestellter besonderer Rückverfolgbarkeit für die Sitz- und Stehplätze und Einhaltung der Vorschriften zum Mindestabstand, wobei bei festen Sitzplätzen eine Besetzung im Schachbrettmuster ausreicht“. Das ist der Rahmen, an den sich die Beteiligten zu halten haben. Punkt.

Handball Nordrhein hält es nun für vernünftig, den Beteiligten trotzdem weiter die Luft zum Atmen zu nehmen. Waren eigentlich alle in den vergangenen Monaten in der 1. und 2. Bundesliga von bodenlosem Leichtsinn oder grenzenloser Verantwortungslosigkeit getrieben? Waren die alle im Tal der Ahnungslosen zu Hause? Warum konnte im September 2020 der Pixum-Supercup vor 2100 Zuschauern (in Düsseldorf übrigens) über die Bühne gehen? Antwort: Weil es erlaubt war und weil es nötig war, weil der Handball ein Lebenszeichen brauchte. Die beiden deutschen Profiligen stehen gerade auf der Zielgeraden einer Saison, die allen Handballern eine Menge abverlangt hat. Und seit ungefähr zwei Wochen dürfen erneut Fans in die Halle – die darauf ungefähr acht Monate lang warten mussten. Der TuSEM Essen hat mitgemacht, der VfL Gummersbach, der TSV Bayer Dormagen – um durch die Unterstützung der Fans selbst neuen Schwung zu gewinnen oder den Fans, Unterstützern und Geldgebern etwas für ihr Durchhaltevermögen zurückzugeben. Nirgendwo war es ein Problem, eine Akkreditierung zu bekommen – meist bei rechtzeitiger Anmeldung und Vorlage eines negativen Tests, der höchstens 48 Stunden alt sein durfte. Der Zutritt in die Hallen, um beruflichen/journalistischen Aufgaben nachzukommen, war vom ersten bis zum letzten Spieltag möglich – auch bei der HSG Krefeld oder beim VfL Eintracht Hagen in der 3. Liga und dann in der Aufstiegsrunde zur 2. Liga. Was soll das also, wenn Handball Nordrhein nun den Verzicht auf Öffentlichkeit mit einer Art „Gefährdungslage“ für die gesamte Aufstiegsrunde begründet? Das ist arg an den Haaren herbeigezogen.

Und müssen alle Beteiligten glücklich sein, dass sich überhaupt eine Halle hat finden lassen? Noch eine klare Antwort: Nein und nein. Interessant in diesem Zusammenhang: Vor ein paar Wochen hatte die Stadt Düsseldorf zuerst die Genehmigung für die Austragung der Aufstiegsrunde in Rath erteilt – und sie später mit dem Hinweis auf einen Verstoß gegen die damals geltende ältere Corona-Schutzordnung im Bereich Sport widerrufen. Das ist nun ziemlich spannend: Mal richte ich mich nach der Schutzordnung, wenn sie strengere Rahmen setzt, und dann ignoriere ich sie? Cool. Das schafft bestimmt Vertrauen. Es lässt sich auch anders ausdrücken: Wenn inzwischen wieder Spiele und Zuschauer dabei erlaubt sind, hat der Verband als Vertreter von Handballern die Möglichkeit dafür zu schaffen. Und komme bitte keiner damit, es sei keine andere passende Halle als die winzige in Rath verfügbar gewesen. Das wäre gelogen: Der OSC Rheinhausen hat seine Spielstätte an der Krefelder Straße angeboten und die Essener wären mit der Infrastruktur eines Bundesligisten ebenfalls in der Lage gewesen, für ein Dreier-Turnier im zulässigen Rahmen eine geeignete Halle zu beschaffen. Dieser Satz des Verbandes ist verräterisch: „Wir wollten das Hygienekonzept nicht mehr aufschnüren.“ Wir. wollten. nicht. mehr.

Wir schaffen das! Kieler Stars wie (von rechts) Niklas Landin, Dario Quenstedt, Sander Sagosen, Magnus Landin oder Patrick Wiencek schienen am 25. April in Essen keine Bedenken zu haben, sich ein paar Meter von der Pressetribüne entfernt aufs Spielfeld zu begeben. (Foto: Thomas Schmidt)

Warum Handball Nordrhein seine Argumentation zusätzlich auf die „Delta-Variante“ umlenkt? Man weiß es nicht. Es wirkt wie ein sinnfreies bis gefährliches Spiel mit einer diffusen Angst vor dem, was da kommen mag. Und wir wiederholen uns „gerne“: Alle diese Dinge und eventuell notwendige Schlussfolgerungen daraus gehören in die Verantwortung von Politik und Medizinern. Vielleicht sollten die Entscheidungs-Befugten bei Handball Nordrhein lieber darüber nachdenken, was ihr aktuelles Verhalten für die Saison 2021/2022 bedeutet – von der sich doch alle Aktiven dringendst eine Rückkehr in die Hallen wünschen, um sich zuerst leidenschaftlich zu bekämpfen und hinterher intensiv über alles zu diskutieren. Wer erinnert sich dabei noch an den Herbst 2020, als die allgemeinen Corona-Zahlen ziemlich bald zur Saison-Unterbrechung führten und der Mittelrhein vorpreschte, bevor politische Beschlüsse da waren? Der Vorgang ähnelt dem jetzigen, weil sie nun bei Handball Nordrhein ebenfalls ihr eigenes Ding durchziehen.

Unabhängig von juristischen Erwägungen: Handball Nordrhein verpasst gerade ohne Not eine große Chance, eine ganz große. Ein Turnier mit den Revier-Rivalen Rheinhausen und Essen, dazu mit den Ratingern, die alle schlagen wollen – es wäre so kurz vor den Sommer-Schulferien eine echt schöne Werbefläche gewesen, um den Handball in die Öffentlichkeit zurückzuholen. Es ist zwar richtig, dass das Aufstiegs-Turnier als private Veranstaltung gilt, für das es kein Mittel der Zutritts-Erzwingung fürs Zuschauen oder eine Berichterstattung gibt – wie vielleicht bei Gerichtsverfahren von öffentlichem Interesse. Also darf Handball Nordrhein das so machen. Verrat am Handball ist es trotzdem.