05. Juli 2023 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Es ist der 21. Mai 2022. Der Turnerbund Wülfrath bekommt noch einmal zwei Punkte auf sein Konto überwiesen – kampflos, weil der Gegner Solinger TB an diesem letzten Spieltag nicht antritt. Und die Wülfrather schließen jene Saison 2021/2022 in der Gruppe 2 der Verbandsliga trotzdem bei 27:29 Zählern mit einem negativen Konto ab. Etwas sollte dringend anders werden, fanden die ziemlich neu in der Verantwortung stehenden André Döpper (Abteilungsleiter) und Felix Möller (Sportlicher Leiter) schon lange vorher. Eine ihrer ersten und wichtigsten Amtshandlungen war dabei die im Winter mehr und mehr intensivierte Suche nach einem künftigen Chefcoach. Dabei gingen die Herren auch auf Trainer-Legende Leszek Hoft zu, der damals noch in Solingen beim Landesligisten Ohligser TV beschäftigt war. Die Grundidee: Hoft, der in der Szene vermutlich alle und jeden kennt, könnte ihnen mit Rat und Tat dabei helfen, einen geeigneten Kandidaten zu finden. Dazu kam es ja auch und am Ende hatte tatsächlich der 72 Jahre junge Solinger seine Zusage gegeben. Und weil Hoft nie ein Freund halber Sachen war und bis heute keiner ist, stellte er erstens ein paar Bedingungen bezüglich der Organisation des Trainings und zweitens den Aufstieg in Aussicht – frühestens für sein zweites Jahr in Wülfrath, mithin für die Saison 2023/2024. Das kam schließlich ganz anders, wogegen sie allerdings weder in der Mannschaft noch im Verein etwas einzuwenden hatten. Die Hoftsche Planwirtschaft geriet bereits in der Verbandsliga 2022/2023 aus den Fugen, denn die Dinge begannen sich Stück für Stück zu verselbstständigen. Am Ende stand der TBW nach 26 Spieltagen ganz oben in der Tabelle, mit 46:6 Punkten deutlich vor dem Zweiten Bergische Panther II (39:13).
Leszek Hoft zu Hause auf einer Couch? Wartend, was der Tag bringen wird? Etwas Unmöglicheres ist nicht denkbar. Der Handballer aus Leidenschaft, der einst bei der damaligen SG Solingen zusammen mit dem allgegenwärtigen Bob Hanning (heute Macher bei den Füchsen Berlin in der 1. Bundesliga und Trainer des Zweitligisten VfL Potsdam) den Aufstieg in die Bundesliga schaffte, befindet sich seit vielen Jahren im Unruhestand – wie wir bereits in unserem Portrait von 2019 feststellen konnten. Diese Lust am Ungewöhnlichen, die Neugier auf spannende Projekte, von dem ihm einige Wegbegleiter manchmal sogar abraten würden, und die Verbundenheit mit der Basis sind drei der entscheidenden Punkte, die Hoft jetzt über Ohligs nach Wülfrath geführt haben. Sein fester Standpunkt dabei dürfte nur diejenigen überraschen, die ihn nicht wirklich kennen: „Ich hasse es, amateurhaft zu arbeiten.“ Und natürlich folgt daraus nicht, dass ihm die Spieler wie in den beiden höchsten deutschen Ligen ein oder zweimal täglich zur Verfügung zu stehen haben oder dass er ihnen als Oberlehrer zu viele Vorschriften machen mag: „Ich will aber, angepasst an die jeweilige Klasse, professionell arbeiten.“ Das wiederum untermauert er durch eine „Philosophie“, die für den einen oder anderen nicht nur in der Verbandsliga eine ungewöhnliche Herausforderung ist: „Erfolg ist Arbeit, Struktur und Fleiß.“
Konsequenterweise standen mit Hofts Amtsantritt drei Trainingseinheiten pro Woche auf dem Programm – und der Kreis der akzeptierten Gründe für ein Fehlen war fortan kleiner als vorher. Die Idee dahinter: Wer sich dem Mannschaftssport Handball verschreibt, soll entsprechende Schwerpunkte setzen. Der Plan ging schon in der Hinrunde auf, weil der TBW-Coach seiner Mannschaft schnell ausreichend viel Hingabe und Einsatz fürs gemeinsame Unternehmen bescheinigen konnte und die 22:4 Punkte eine starke Basis für den zweiten Teil der Meisterschaft abgaben – wobei die Wülfrather allerdings ein Stück hinter dem hier ungeschlagenen LTV Wuppertal II (26:0) lagen, bei dem sie mit dem 28:33 am dritten Spieltag ihre einzige Hinrunden-Niederlage hinnehmen mussten. Vielleicht war es sogar eine persönliche Entscheidung Hofts, die das Team endgültig vom kühnen Plan überzeugte, das Projekt Meisterschaft lieber direkt in Angriff zu nehmen. Leszek Hoft sagte im vergangenen Winter den bei ihm eigentlich unantastbaren und bei der Vereinbarung zur Zusammenarbeit rechtzeitig angekündigten Ski-Urlaub ab – was alle sehr erstaunte. Die Erklärung für den Verzicht: „Es gibt keinen Urlaub, es gibt Aufstieg.“ Trotzdem gab es am zweiten Rückrunden-Spieltag mit dem 25:30 beim späteren Dritten Bergische Panther II noch einmal eine Niederlage – aber die letzte. Und mit dem 43:36 nur eine Woche später gegen Wuppertal II schaffte der TBW nicht nur die Revanche für die Niederlage knapp fünf Monate zuvor, sondern er gab gleichzeitig den Startschuss für eine Serie von elf Siegen hintereinander bis zum Saisonschluss.
Dabei werden alle Beteiligten vermutlich das letzte April-Wochenende noch sehr lange in Erinnerung behalten – als viele Fans die Mannschaft zum Auswärtsspiel bei der DJK VfR Mülheim-Saarn begleiteten und die Partie dort zunehmend in ein Heimspiel verwandelten. Durch einen Sieg hätte der Turnerbund den Aufstieg vorzeitig und aus eigener Kraft eingefahren und mit dem 35:32 erfüllte er sein Soll – was plötzlich gar nicht mehr nötig gewesen wäre. Panther II und Wuppertal II, die beiden einzigen Kontrahenten, die ungefähr in der Nähe lagen, hatten bereits am Abend vorher verloren und so den Wülfrathern die Meisterschaft mit auf den Weg gegeben. Team, Trainer und Zuschauer des TBW gaben dennoch alles und verwandelten das Gelände rund um die Halle in eine einzige Partyzone, ehe später zu Hause die Aufstiegs- und Meisterfeier weiterging. Feiern und Abschiednehmen waren anschließend ebenfalls feste Programm-Bestandteile für die beiden ausstehenden Partien der vergangenen Saison – die ein 29:27 über die SG Langenfeld II und ein 29:23 beim ETB SW Essen brachten. Dabei konnte der alte Hase Hoft vor allem den Erfolg über Langenfeld kaum fassen: „Ich habe das erste Mal in meiner Karriere kein Heimspiel verloren.“ Bei 26:0 Zählern gaben die Wülfrather in ihrer „MTC Arena“ nicht mal einen einzigen Punkt ab – während sie sich am Ende etwa von Marcel Müller verabschieden mussten, der zuletzt als spielender Co-Trainer von Hoft an der Seitenlinie stand. Müller (39), vor zweieinhalb Jahren von Interaktiv.Handball aus der Regionalliga gekommen und beim Vorgängerverein SG Ratingen in der 3. Liga aktiv, hört auf mit dem aktiven Handball. Die Qualitäten des Linkshänders nicht nur auf sportlichem Gebiet werden den Wülfrathern sicher fehlen.
In der Summe hat der Verein, der viel Wert auf Teamgeist sowie eine stimmige Mischung aus Talenten und erfahrenen Leuten legt, dennoch ein nicht geringes Maß an Erfahrung hinzugewonnen – wobei sich nicht zuletzt Hofts und Müllers nach wie vor sehr gute Verbindungen nach Ratingen bezahlt machten. So wird Kreisläufer Kai Funke (32), der mit dem Handball fast abgeschlossen hatte und trotzdem schon im Laufe der Rückrunde 2021/2023 zum TBW gestoßen war, die Mannschaft weiter verstärken. Linksaußen Fabian Claussen (28), der als Ur-Wülfrather zuletzt an der Meisterschaft der Ratinger in der Regionalliga beteiligt war und auch am Endspiel-Sieg im Deutschen Amateurpokal (35:24 gegen HC Gelpe/Strombach), gehört jetzt ebenfalls zu Hofts Aufgebot. Rouven Jahn (29/Rückraum-Mitte) und Florian Görigk (28/Rückraum links) kommen vom Oberligisten LTV Wuppertal I, Jannick Adam (22/Rechtsaußen) wechselt vom Regionalligisten MTV Rheinwacht Dinslaken zu den Wülfrathern, die zudem zum Beispiel in Cedric Dupré, Nils Schütte und Dennis Höfer auch Nachwuchskräfte aus der eigenen Jugend in den Senioren-Kader aufgenommen haben. Da passt es besonders gut, dass Abteilungsleiter André Döpper als Trainer der zweiten Mannschaft das direkte Bindeglied zu seinem Chefcoach Hoft ist. Beider Ziel ist es, die TBW-Talente nachhaltig ans Niveau der Oberliga heranzuführen.
Wie das gehobene Niveau in der höheren Klasse aussieht, werden die Wülfrather sofort am ersten Spieltag erfahren – der ihnen am 26. August das Heimspiel gegen die Unitas Haan beschert, die als Vizemeister der vergangenen Serie (hinter dem Regionalliga-Aufsteiger Borussia Mönchengladbach) weit vor der restlichen Konkurrenz lag. Die zweite Aufgabe führt den TB Wülfrath zum TV Lobberich (zuletzt Sechster), ehe er vor der ersten Saison-Unterbrechung (Herbst-Schulferien) noch gegen den LTV Wuppertal (Siebter), beim Mit-Aufsteiger TS St. Tönis (Verbandsliga, Gruppe 1), gegen den HSV Überruhr (Fünfter) und beim TuS Lintorf (Achter) antritt. Das sind dann wohl eher die Kontrahenten, an denen sich der TB Wülfrath orientieren soll/muss – ohne dass sich daraus eine Garantie auf ein gut gefülltes Punktekonto ableiten lässt. Garantiert ist nur, dass sie mit einer gut vorbereiteten Mannschaft an den Start gehen werden und mit einem Trainer, der vom Handball nicht lassen kann – oder höchstens ganz selten. So wie jetzt: Aktuell macht Lezek Hoft in seiner polnischen Heimat etwas Urlaub. Wenn es danach wieder losgeht, steht der Fahrplan zumindest grob fest: „Erfolg ist Arbeit, Struktur und Fleiß.“ Und Erfolg scheint ja kein bisschen davon abzuhängen, wie alt (nur an Jahren) der Trainer ist und wie jung ein Teil seiner Spieler. In Wülfrath stehen sie vor einer spannenden Saison.