Regionalliga Nordrhein
Eine Räuberpistole: Gute Nacht, Handball
Wirrwarr um Durchführungsbestimmungen ist der nächste Beweis für den Riss zwischen Basis und Verband.

Da klebt er nun: Harzspuren an den Bällen sind Alltag im Handball. Unwürdige Schauspiele bisweilen wohl auch. (Foto: Thomas Schmidt)

Es war ein ganz normaler Mittwoch. Oder doch nicht? Am Ende ist es vor allen Dingen ein Desaster auf Raten – hervorgerufen durch die einen Tag vorher richtig bei den Regionalligisten angekommenen „Lösung“ für die Saison 2024/2025. Veröffentlicht hatte das Ganze der alte Verband Mittelrhein, der ja eigentlich seit dem 1. Juli nach der Fusion/Verschmelzung mit dem alten Verband Niederrhein zum neuen Verband Nordrhein gar nicht mehr existiert. Warum er oder einer seiner Vertreter mit Zugang zur entsprechende (Web-) Seite sich dennoch veranlasst sah, Durchführungsbestimmungen mit an sportlichen Sprengstoff erinnernden Inhalt zu verbreiten, ist eine andere Frage und bestimmt nicht weniger interessant. Ein Kern dieser Durchführungsbestimmungen war jedenfalls das hier in Punkt 3.6.2: „Sollte nach erfolgtem Aufstieg die Mannschaftsstärke in der Oberliga Nordrhein 5 Männer- Mannschaften aus dem ehemaligen HV-Mittelrhein übersteigen, so steigen die nächsten schlecht platzierten Mannschaften in die Verbandsliga Nordrhein ab.“ Es war keine besonders große Überraschung, dass die von dieser Regelung betroffenen Klubs mindestens fassungslos bis empört wirkten. Hier gehts zur Zusammenfassung der Ereignisse: „Paragrafen-Gift: Wenn Bonn als Achter absteigen muss.“ Rund 24 Stunden später können die Beteiligten in erster Linie immer noch den Kopf schütteln. Die irrwitzige Benachteiligung der Mittelrhein-Vertreter scheint sich wenigstens fürs Erste in Luft aufgelöst zu haben.

Am (Mittwoch-) Morgen, genau um 9.36 Uhr, erreicht uns diese vom Verband Mittelrhein stammende Mitteilung/Nachricht: „Hallo, die aktuellen Durchführungsbestimmunen sind online.“ Selbstverständlich forschen wir nach und finden tatsächlich eine veränderte Fassung – ohne jene umstrittene Passage in 3.6.2. Etwas weiter unten findet sich aber unverändert in einer nur farblich gelungenen „Tabelle“ mit angenehmer Optik eine konkrete Idee darüber, wie sich die Verantwortlichen die Zusammenstellung der Regionalliga 2024/2025 vorstellen: Neun Mannschaften sollen demnach weiterhin vom Niederrhein stammen, nur fünf aus dem Mittelrhein (obwohl es aktuell sowieso bereits sechs sind). Demnach wäre irgendwie alles wie vorher geblieben. Etwas später kommt jedoch bereits der nächste Schritt – und nun ist das Dokument in Gänze von der Seite verschwunden und dem Download entzogen. Im Hintergrund scheint jemand noch einmal beizugehen. Und in echt: Noch etwas später taucht ein Dokument auf, das den Titel „Durchführungsbestimmungen Anlage für den HVM 2023/2024“ trägt. Begleitet wird das Paket anschließend durch eine weiteres Dokument mit vergleichbarem Inhalt. Titel hier schlicht: „Durchführungsbestimmungen HVM 2023/2024“. Das ist beides aus mehreren Gründen erneut verblüffend: Es sind erstens wiederum zwei Texte aus einem Verband, der mindestens vertretungsberechtigt gar nicht mehr existiert – und zweitens solche, in der die obige Passage fehlt, sowohl im Text als auch in der Grafik. Statt der Rechnung 9 plus 5 steht nun etwas von 14 qualifizierten Teams zu lesen, was ja zumindest mathematisch stimmt. Weil das Chaos aber offensichtlich der Komplettierung bedurfte, sind die beiden „frischen“ Texte am Abend wieder von der Seite des Verbandes verschwunden und bis jetzt (Donnerstagmittag) nicht wieder aufgetaucht. Wir warten nun gespannt auf den nächsten Schritt in dieser besonderen Art des Abzählreims.

Ganz wenig stimmt ohnehin im Verhältnis zwischen dem Verband und seinen ihm angehörenden Vereinen. Bereits am alten Mittelrhein und am alten Niederrhein gab es bisweilen massive Verständigungsprobleme – und im neuen Handball Nordrhein scheint der Graben eher tiefer zu werden. Und da können sie den Tag über noch so oft wiederholen, dass die zuerst ans Licht gekommenen Durchführungsbestimmungen in dieser Form nicht zur Veröffentlichung vorgesehen waren und es sich eher um eine Art Entwurf oder Versehen gehandelt habe: Das nimmt im Ernst niemand, wirklich niemand für bare Münze. Das dargelegte Gedankengut war genau so und nicht nur bei einer Minderheit vorhanden, sondern mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei einer tragfähigen Mehrheit. Anders ausgedrückt: Es handelt sich nicht um das Machwerk eines isolierten Einzelgängers. Und Niederrhein oder gar Nordrhein sollten den Versuch lassen, sich herauszureden oder vielleicht mit den Fingern auf den Mittelrhein zu zeigen. Wir wetten darauf: Der HVM steht in der durch ihn ausgelösten Situation als Stellvertreter für alle.

Der Schaden ist jedenfalls angerichtet, noch mehr Vertrauen dahin. Und die Diskussionen/Disharmonien werden jetzt nicht plötzlich aufhören, weil der blödsinnige oder womöglich sogar gegen geltendes Recht verstoßende Teil-Abschnitt eines Werks gelöscht wurde. Wer sich weitere Punkte des „Papiers“ ansieht und wer sie nachvollziehen will, sollte mindestens schwindelfest sein: Bei der Zusammenstellung der neuen Oberligen etwa – dann in drei Gruppen – wird es bereits neue Debatten geben und noch mehr Ärger im Bereich der Verbands- und Landesligen. Ein Leser drückt seine Sicht der Dinge so aus: „Es lohnt sich, mal einen Blick ans Ende der Lawine zu werfen, gerade aus Sicht des HVN. Bedeutet im Herrenbereich, aus den 4 Landesligen steigen 26 Mannschaften ab. Halbierung (6,5 pro Staffel) der jetzigen 4 LL, aus der einen HVM Gruppe 4 – außer, ich habe in dem ganzen Zahlenwirwarr einen Denkfehler, auf den ich tatsächlich hoffe. Ansonsten ist das ein Ausradieren von Mannschaften. Wer glaubt, das alle diese Mannschaften sich fröhlich in der nächsten Saison in den Bezirksligen treffen, hat von der Wirklichkeit keine Ahnung. Das wird ein Sterben von Mannschaften nach sich ziehen.“

In der Summe des bisher vor allem, aber nicht nur am Beispiel der Regionalliga Geschehenen, das nicht mal der Endpunkt sein muss, stellt sich diese Frage: Ist das ernsthaft der Weg, den der Handball gehen will – einer, in dem wesentliche Entscheidungen in bestimmten Zirkeln der wie auch immer entstandenen Macht getroffen/vorbereitet werden? Es ist einfach ein Hohn, wenn unter anderem rund um Verbandstage oder ebenda das Wort „Transparenz“ fällt. Wir wiederholen und ergänzen unsere Forderung: Die Verwendung von „Professionalität“ oder „Professionalisierung“ oder „Transparenz“ sollte hier bei Strafe verboten sein. Ganz nebenbei ist und bleibt – wie eigentlich immer – mindestens sehr vieles in diesen Tagen und Wochen ein echtes Kommunikations-Desaster. Vielleicht erkennt irgendwann jemand, dass darunter der Sport – und zwar jener an der Basis – massiv leidet. Besonders viel Hoffnung haben wir dabei nicht. Das Fazit aktuell für die Zukunft, wenn sich denn gar nichts ändert: Gute Nacht, Handball. Was uns bleibt, um nicht in der Ratlosigkeit steckenzubleiben? Es ist die große Freude darüber, dass am 25. August der TV Korschenbroich und die HSG Refrath/Hand auf der Platte die Saison 2023/2024 in der Regionalliga eröffnen. Dann fliegt wieder der Ball. Bis dahin fliegen wahrscheinlich vor allem die Fetzen. Und nein: Das war kein ganz normaler Mittwoch.