11. Juli 2023 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Das. Kannst. Du. Dir. Wieder. Nicht. Ausdenken. Erst waren es die da „oben“, die der Basis im Handball mal wieder einen Schlag versetzten, als sie im Bundesrat vor rund zwei Wochen das offizielle Aus des Deutschen Amateurpokals verkündeten. Und das war schon eher eine Verschlimmbesserung der zuerst erdachten neuen Regeln für den DHB-Pokal. Dass HBL und DHB offensichtlich bevorzugt den beruflich betriebenen Sport vorantreiben wollen, war jedenfalls für alle ab der 3. Liga heftig genug. Was nun gerade passiert und auf dem Tisch liegt, verursacht aber wesentlich heftigeres Kopfschütteln und noch stärkere Bauchschmerzen: Diesmal sind es sogar die da „unten“ selbst, die den Beteiligten mehr als nur ein Bein stellen: Sie landen einen Schlag mitten ins Gesicht des Handballs. Das alles hat sehr viel zu tun mit der gerade verkündeten und zum 1. Juli wirksam gewordenen „Verschmelzung“ der bisherigen Verbände Mittelrhein und Niederrhein zum neuen Verband Handball Nordrhein. Die Krone setzt den bisweilen wie Geheimbünden anmutenden Organisationen der alte HVM auf, der gerade für die in ein paar Wochen beginnende Saison 2023/2024 sehr spannende Durchführungsbestimmungen veröffentlicht hat.
Dass sie sich dabei in der Begrifflichkeit vertun, mag als harmlos durchgehen. Die Regionalliga wollten die Fusionsanhänger ja zunächst Oberliga Nordrhein nennen und die bisherigen Oberligen in Verbandsligen Nordrhein umbenennen. Hier hätte ein Blick in den ab 1. Juli 2024 geltenden und geänderten § 38 Absatz 1 der offiziellen Spielordnung im Deutschen Handball-Bund geholfen: „Gespielt wird im Erwachsenenbereich in folgenden Spielklassen: Bundesliga, 2. Bundesliga, Dritte Liga, Regionalliga, Oberliga usw.“ Also bleibt die bisherige Regionalliga schlicht die Regionalliga und die Oberligen bleiben die Oberligen – von denen es allerdings künftig drei statt der bisherigen zwei geben soll. Das sind natürlich Ungereimtheiten, vielleicht Probleme. Echten sportlichen Sprengstoff bieten allerdings die an manchen Stellen ziemlich undurchsichtigen Durchführungsbestimmungen des Handball-Verbandes Mittelrhein und präzise deren Punkt 3.6.2: „Sollte nach erfolgtem Aufstieg die Mannschaftsstärke in der Oberliga Nordrhein 5 Männer- Mannschaften aus dem ehemaligen HV-Mittelrhein übersteigen, so steigen die nächsten schlecht platzierten Mannschaften in die Verbandsliga Nordrhein ab.“ Was das bedeutet? Unter Umständen reicht einem, der alle Voraussetzungen erfüllt hat, nicht mal der achte Platz, um ein Ticket für die Regionalliga 2024/2025 zu buchen, während der Zwölfte oder gar jener auf Rang 13 weiter dabei sein darf. Das ist unkorrekt und steht gegen alle Prinzipien des Sports.
Wir unternehmen an dieser Stelle den Versuch, die ganze Angelegenheit an einem Modell durchzurechnen – mit Betonung darauf, dass die genannten Vereine als Platzhalter dienen. Weder können wir dem dort aufgeführten „Meister“ TV Korschenbroich den Sprung in die 3. Liga garantieren noch wünschen wir uns, dass der Bergische HC II und/oder der MTV Rheinwacht Dinslaken die Regionalliga verlassen müssen oder dass es in der 3. Liga den TuS 82 Opladen erwischt. So sieht trotzdem unsere immerhin theoretisch denkbare und an die jüngere Vergangenheit angelehnte mögliche Abschluss-Tabelle 2023/2024 mit den fett markierten Mittelrhein-Teams aus:
1. TV Korschenbroich
2. HC Gelpe/Strombach
3. HG Remscheid
4. OSC Rheinhausen
5. HSG Refrath/Hand
6. Borussia Mönchengladbach
7. BTB Aachen
8. TSV Bonn rrh.
9. TuSEM Essen II
10. TSV Bayer Dormagen II
11. SG Langenfeld
12. HC Weiden
13. Bergischer HC II
14. MTV Rheinwacht Dinslaken.
In unserem Szenario steigen zudem die Opladener als Mittelrhein-Klub aus der 3. Liga ab. Bei dieser Rechnung würden im aktuellen Modell der BHC II und Dinslaken absteigen, Korschenbroich würde in die 3. Liga aufsteigen. Aus dem Mittelrhein blieben demnach die sechs bisherigen Teams, dazu käme Opladen sowie ein Aufsteiger aus der Oberliga – wir nehmen vertretungsweise die HSG Siebengebirge. Es wären also acht Mannschaften aus dem Bereich des ehemaligen HVM in der Regionalliga anwesend. Laut Punkt 3.6.2 der Durchführungsbestimmungen dürfen es aber nur fünf sein und daher müssten drei Mannschaften zusätzlich absteigen. Das wären im obigen Beispiel der HC Weiden auf Platz zwölf, der TSV Bayer Dormagen II auf Platz zehn und der TSV Bonn rrh. auf Platz acht. Alle drei hätten den Klassenerhalt normalerweise geschafft und müssten trotzdem runter. Wer die freien Mittelrhein-Plätze „auffüllen“ soll, ist im Übrigen ebenfalls unklar. Vielleicht stellen sich die Verantwortlichen ja Mannschaften aus der alten Oberliga Niederrhein vor, die damit gar nicht rechnen. Wir denken da zum Beispiel an den TV Lobberich oder den TV Geistenbeck, die gerade vermutlich keinen einzigen Gedanken an den Sprung in die Regionalliga verschwenden.
Bei den betroffenen Mittelrhein-Vereinen stößt die Neu-Regelung – vorsichtig ausgedrückt – auf wenig Begeisterung. Marc Schlingensief etwa, der Trainer des zuletzt als Zehnter über die Ziellinie gekommenen HC Weiden, bringt zunächst auf den Punkt, was nicht wenige denken. „Je mehr ich in die Durchführungsbestimmungen reinschaue, desto mehr Fragen stellen sich mir“, sagt Schlingensief, der sich in der zentralen Frage mit den fünf HVM-Vereinen klar positioniert: „Mir ist durchaus bewusst, dass es aufgrund der unterschiedlichen Verbandsgrößen ein vernünftiges Verhältnis geben muss, aber die Nordrheinliga gibt es in der Form ja schon einige Jahre und das Verhältnis wurde mit den Jahren erspielt – was mit dieser Regelung meines Erachtens wieder ausgehebelt wird. Nach meinem Empfinden ist das absolut unfair und man müsste sich mit den HVM-Vereinen geschlossen dagegenstellen. Es kann doch nicht sein, wenn ich es sportlich schaffe, die nötige Anzahl an Teams hinter mir zu lassen, man dann aber noch schauen muss, aus welchem „Altverband“ die Teams kommen.“ Auf den ersten Blick etwas gelassener, aber mindestens genauso ratlos wirkt Martin Berger, der Coach des gerade aus der Oberliga Mittelrhein in die Regionalliga Nordrhein aufgestiegenen TSV Bayer Dormagen II: „Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass das sportlich die beste Entscheidung wäre. Das kann keine Lösung sein. Für uns wäre es ein Worst Case.“ Die Dormagener gehen selbst davon aus, dass sie von Anfang an im Kampf gegen den Abstieg stecken werden und sie wären etwa mit Platz zehn schon sehr einverstanden – der jedoch vielleicht nicht reicht, obwohl vier Mannschaften schlechter abgeschnitten haben. Ganz nebenbei stellt sich Berger die Frage, wie diese Art der Trennung/Spaltung zu einem gedeihlichen Zusammengehen zwischen zwei Verbänden passen soll.
Auf der Liste der gefährdeten Art steht auch der BTB Aachen, der die vergangene Saison auf dem elften Rang abschloss – und damit der am weitesten unten platzierte Klub aus dem Handball-Verband Mittelrhein war. Nicht nur, aber unter anderem deshalb ist Simon Breuer als Trainer und Sportlicher Leiter empört: „Das entbehrt jeder Grundlage, das ist ein Eingriff in die Sportlichkeit und hat mit sportlichem Wettkampf nichts zu tun.“ Kollege Frank Berblinger, der die Regionalliga unter anderem aus seiner Zeit bei der HG Remscheid auch aus Niederrhein-Perspektive kennt, vertritt ebenfalls eine klare Meinung: „Das kann so nicht funktionieren.“ Gleichzeitig sieht er auf seine TSV Bonn rrh. ohnehin eine schwierige Saison zukommen – zuerst deshalb, weil die Mannschaft einen personellen Umbruch zu verarbeiten hat. Dass es einen erhöhten Abstieg geben könnte, weil etwa aus der 3. Liga jemand in die Nordrheinliga absteigt, sieht er dabei nicht als nervendes Thema: „Das ist das Los dieser Klasse.“ Aber das jetzt? Dass der Achte oder Neunte absteigen könnte, findet er geradezu unwirklich. „Es kann nicht sein, dass dann solche Würfelspielchen hinzukommen“, erklärt Berlinger, „ich bin gespannt.“ Er hofft in einem ganz hinteren Winkel, dass in die Sache noch einmal Bewegung kommt. Unser Tipp: Er möge besser nicht darauf wetten.
Eins ist am Ende sicher auch ein spannendes Thema: War oder ist da etwa in dieser Fusion/Verschmelzung mehr als nur ein bisschen Sport-Politik im Spiel? Die vorgelegte aberwitzige Regelung führt die Idee der „Fusion“ der Verbände definitiv ad absurdum. Also legt sie die Sinnlosigkeit oder das Widersinnige der Sache dar. Anstatt eines „Zusammenschlusses“ mit dem Gefühl der Verbundenheit gibt es nach der Zusammenführung erst mal wieder eine Trennung in „die da im Norden“ und „die da im Süden“. Geht es bei der Zusammenstellung der neuen Regionalliga etwa nicht um sportlichen Wert, sondern um Macht und Einfluss? Falls das so ist, und im Grunde ist kein anderer Schluss möglich, hat sich im Ergebnis der Mittelrhein vom Niederrhein schön über den Tisch ziehen lassen. Das Folgende darf zugleich nicht in Vergessenheit geraten: Die Vereine, die den neuesten Murks ausbaden sollen/müssen, wurden selbstredend nicht gefragt oder rechtzeitig mit Informationen versorgt. Und was war da im Übrigen dieser Tage irgendwo zu lesen? Der Zusammenschluss sei ein Schritt hin zu mehr „Professionalität“. Mehr Unsinn in einem einzigen Satz geht kaum. Und mehr Unsinn in einem einzigen Wort auch nicht. Die Verwendung von „Professionalität“ oder „Professionalisierung“ sollte in diesem Zusammenhang bei Strafe verboten sein. Was hier vorliegt, ist nichts anderes als der nächste Schlag mitten ins Gesicht des Handballs.