3. Liga Nord-West
Warum Fynn Natzke ein Glücksfall für leidende Leichlinger ist
Der 21 Jahre junge Rechtsaußen hat beim LTV den Sprung aus der Kreisliga in die erste Mannschaft geschafft. Den Klassenerhalt traut er dem Team zu.

Absprung: Leichlingens Rechtsaußen Fynn Natzke (mit Ball) will noch viel mehr Tore für den gefährdeten Leichlinger TV erzielen. (Foto: Thomas Ellmann)

Der Leichlinger TV hat in der 3. Liga schon bessere Zeiten gesehen. Nach dem extrem schmerzhaften 25:30 beim direkten Konkurrenten TuS Volmetal hat sich die Lage im Kampf um den Klassenerhalt weiter zugespitzt – für einen der Vereine, die über Jahre hinweg in den vorderen Regionen der Tabelle zu Hause war, inzwischen aber einen anderen Kurs fahren muss. Ein wesentlicher Punkt: Das deutlich geringere Budget, das jetzt zur Verfügung steht, hat sich vor der Saison entscheidend auf die Kader-Zusammenstellung ausgewirkt. Nach dem ersten Drittel der Serie ist bei 5:15 Punkten nicht sicher, dass die Hundert-Prozent-Kehrtwende zum erhofften Erfolg führt, doch die Leichlinger können ganz bestimmt eine außergewöhnliche Geschichte für sich beanspruchen. Sie stammt im übertragenen Sinn fast aus der Kategorie: Vom Tellerwäscher zum Millionär. Sie trägt den Namen Fynn Natzke. Er hat alles, was einen Spieler für die im Umbruch steckende Mannschaft so wertvoll macht: Er ist jung, entwicklungsfähig, Handballer aus Leidenschaft – und er kommt aus dem eigenen Haus. Fynn hat mal eben sechs Klassen übersprungen und den Schritt aus der Kreisliga in die 3. Liga geschafft.

Es ist knapp zwei Monate her, als der LTV beim Zweitliga-Absteiger HSG Rhein Vikings mit einer knappen 30:31-Niederlage in die Serie 2019/2020 startete. Zwischen der 10. und 14. Minute stürzte vor allem der schnelle Rechtsaußen der Gäste die Wikinger von einer Verlegenheit in die nächste und der junge Mann mit der Nummer 84 erzielte in dieser Phase drei Treffer. Viele in der Halle mussten im Spielbericht nachschauen: Wer ist das denn? Fynn Natzke kam insgesamt auf sechs Tore und deutete damit seine Klassentauglichkeit an. Für Trainer Lars Hepp stand ohnehin immer fest, dass der Linkshänder den Umstieg schafft: „Das ist für mich keine Überraschung. Ich wusste von Anfang an, was er leisten kann.“

Mitfiebern: Fynn Natzke (Nummer 84) leidet auch von der Bank aus mit Trainer Lars Hepp (vorne) und den Teamkollegen. (Foto: Thomas Ellmann)

Vor einiger Zeit hatte Fynn Natzke schon einmal Kontakt zum Drittliga-Team, bekam allerdings praktisch nur eine Rolle als Trainings-Partner und fast keine echte Einsatzzeit in der Meisterschaft. Dann beschloss er, dass Aufwand und Ertrag nicht recht zusammenpassen, und war fortan wieder nur ein fester Bestandteil der LTV-Zweiten. Dann kam im Sommer die Anfrage von Hepp: „Hast du nicht Lust?“ Fynn hatte, machte die Vorbereitung voll mit und ist ein fester Bestandteil des Teams geworden. Er weiß dabei trotzdem, dass er als junger Spieler noch eine Menge lernen muss. Einen Beleg dafür, dass Natzke dazu bereit ist, bietet der Rückblick aufs 26:27 vor Kurzem gegen den VfL Gummersbach II, als Leichlingen ein 23:20 nicht zum dringend benötigten Sieg reichte. Fynn Natzke war mit einer ziemlich überflüssigen Aktion daran beteiligt, dass die Waage zugunsten der Gäste kippte – und sein Stürmerfoul leitete einen Tempogegenstoß des VfL ein. „Das war eine dumme Aktion“, räumt der Rechtsaußen ein. Happ formuliert es so: „Er hat taktischen Nachholbedarf.“

Der Draht zwischen Trainer und Spieler ist trotzdem gut, zumal Hepp ihn als ausgesprochen selbstkritisch bezeichnet. Hin und wieder genehmigen sich die beiden Herren einen Spaß – was unter anderem damit zu tun hat, dass Natzke zumindest hin und wieder bei Auswärtsfahrten den Kleinbus steuert, mit dem die Mannschaft unterwegs ist. Hepp kann dann den Kopf schütteln: „Jetzt wirft bei uns schon der Busfahrer die meisten Tore.“ Natzke kann dafür seinen Chef vor zu klarer Kritik warnen: „Denk dran, Lars. Ich bin der Busfahrer.“ Oder er kann den Hinweis auf eine schwächere Aktion locker kontern: „Ich kann nichts dafür. Ich bin nur der Busfahrer.“ In Wirklichkeit nimmt Fynn seine Aufgabe als Bestandteil der Drittliga-Teams jedoch ernst und will alles dafür geben, dass es unter dem Strich zum Klassenerhalt reicht.

Sprechzeit: Alle Leichlinger zusammen werden noch sehr genau überlegen müssen, wie sich der Klassenerhalt bewerkstelligen lässt. (Foto: Thomas Ellmann)

Bei allem Ehrgeiz wird der Handball für Fynn Natzke nie total in den Vordergrund rücken. „Mittlerweile ist es mehr als nur ein Hobby“, erklärt der im Leverkusener Krankenhaus geborene Leichlinger, „aber ich will Spaß daran haben. Sonst würde ich nicht so viel Zeit investieren.“ Davon bleibt ihm gerade ohnehin nicht besonders viel, weil er Handball und Beruf penibel miteinander koordinieren muss. Die duale Ausbildung mit der Tätigkeit bei einem Solinger Unternehmen und dem Studium „International Management“ mit dem Sport in Einklang zu bringen, erfordert einiges an Selbstdisziplin. Fynn bekommt es hin – worüber er selbst staunt: „Eigentlich bin ich in dem, was ich tue, ein relativ chaotischer Typ.“ Dazu passt, dass er sich vor der Zusage für die erste Mannschaft keine großen Gedanken darüber gemacht hat, wie denn sechs Klassen Unterschied in der Wirklichkeit aussehen.

Einen sehr klaren Blick hat der Handballer auf die Dinge, die den Leichlinger TV in dieser Saison vielleicht noch erwarten. „Jeder weiß, dass die Situation sehr risikoreich war“, sagt Natzke, „wir haben aber das Potenzial für die 3. Liga und wir sind als Mannschaft zusammengewachsen. Die Stimmung ist nicht grundsätzlich schlecht. Mir macht die Aufgabe mega-viel Bock.“ Vielleicht wird er dazu gelegentlich sogar etwas Verrücktes beitragen – was bei einem, der als Handballer vom Rechtshänder zum Linkshänder geworden ist, kein Wunder wäre. Ganz nebenbei: Einen Tennisschläger zum Beispiel nimmt Fynn Natzke bis heute in die rechte Hand. Der Wechsel zurück ginge im Handball dennoch längst nicht mehr: „Da wäre ich viel zu schlecht.“

Deswegen braucht er nicht zu befürchten, dass ihn Trainer Hepp irgendwann vom Rechtsaußen zum Linksaußen umdirigiert. Hepp weiß schließlich genau einzuschätzen, wo die Qualitäten des 21-Jährigen liegen. Und sie gehen über das rein Sportliche hinaus: „Fynn ist ein Glücksfall für uns. Er hängt sich voll rein und er sieht auch oft bei der Zweiten zu.“ In der Übersetzung: Fynn Natzke ist so etwas wie der Kitt für den neuen Leichlinger Weg. Das könnte wohl noch eine Menge wert sein für einen Verein, der in der 3. Liga schon viel bessere Zeiten gesehen hat.