15. Februar 2021 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Grundgütiger. Was ist denn gerade in der 3. Liga los? Sicher: Die Saison ist herausfordernd. Für alle Handballer. Es gibt genug zu tun, um halbwegs vernünftig durch die größte Krise in der Geschichte der Sportart zu kommen. Seit dem 23./24. Oktober 2020 ruht der Meisterschafts-Betrieb – abgesehen davon, dass eine Woche später am 31. Oktober der HSC Bad Neustadt und die HG Saarlouis noch eine Partie des fünften Spieltages über die Bühne bekamen, während alle anderen Vereine bereits in der Corona-Zwangspause steckten. Das war vor über 15 Wochen, vor mehr als 100 Tagen. In diesem Zeitraum können demnach weder Spieler noch Trainer besonders viel falsch gemacht haben. Es gab ja keine Gelegenheit dazu. Trotzdem hielten es zwei Vereine für angemessen, personell zu drastischen Maßnahmen zu greifen – und ausgerechnet zwei, die entweder von den meisten anderen oder zumindest von sich selbst zu den Klubs aus der oberen Etage gezählt werden. Vorreiter in Sachen Veränderung auf dem Trainerstuhl war in der vergangenen Woche der Longericher SC – mit 6:0 Punkten und Platz zwei der erfolgreichste Verein aus der frühen Phase der Saison. Kurz darauf meldete die HSG Krefeld Niederrhein ebenfalls auf besondere Art und Weise Vollzug. Unterschied auf dem Papier: Während Longerichs Coach Andreas Klisch theoretisch erst nach dem Ende dieser Serie aufhören muss/soll/wird, setzten die Eagles jetzt ihrem bisherigen Trainer Felix Linden mit sofortiger Wirkung den Stuhl vor die Tür. Sein Nachfolger ist Maik Pallach, der zuletzt Sportlicher Leiter des Zweitligisten TV Großwallstadt war – mit dem er sich auf eine Auflösung seines Vertrages zum 31. Januar einigte.
Was Andreas Klisch und Felix Linden eint: Beide wurden von der Entscheidung ihrer jetzt Ex-Vereine ziemlich überrascht – und beide wollten/wollen sich öffentlich nicht konkreter zum Vorgang äußern. Die künftige Konstruktion der Longericher: Der Sportliche Leiter Chris Stark übernimmt den neuen Posten des Teamchefs – also des obersten Entscheiders. So drückt es der LSC aus: „Damit übernimmt Chris Stark auch die Verantwortung für die sportliche Ausrichtung und Strategie. Gleichzeitig übernehmen die beiden Co-Trainer Christian „Kiki“ Born und Philipp Krüger in diesem Konstrukt eine deutlich größere Verantwortung und bilden gemeinsam mit Stark das Trainer-Team.“ Was sich die Kölner davon versprechen, sagt der Vorsitzende Holger Meinecke so: „Mit dem neuen Konstrukt sind wir zuversichtlich, die Sportliche Leitung den erforderlichen Bedürfnissen angepasst zu haben. Wir haben die aktuelle Situation umfassend beleuchtet und wollen ganz bewusst mit frischem Wind in die neue Spielzeit zu starten. Im Zuge der Corona-Krise möchten wir einen ganzheitlichen Neustart wagen und mit bewährten Kräften Aufbruchstimmung wecken. Und dies mit bewährten Kräften in der Sportlichen Leitung.“ Der Dank an den scheidenden Andreas Klisch liest sich so: „Klischi hat den LSC sowohl als Co- als auch als Chef-Trainer über viele Jahre begleitet, die Erfolgsgeschichte des LSC Köln von Beginn an mitgeschrieben und wesentlich seinen Teil zu den erfolgreichen Jahren beigetragen. Wir hoffen sehr, dass wir ihm noch in dieser Saison einen standesgemäßen Abschied bereiten können. Und wir drücken die Daumen, dass er und die Mannschaft schon bald wieder auf Punktjagd gehen.“ Ob Klisch wirklich besonders viel Wert darauf legen würde, in einer zur Debatte stehenden freiwilligen Aufstiegsrunde noch einmal an der Seitenlinie zu stehen? Wir melden mal leise Zweifel an.
Nägel mit Köpfen hat in dieser Hinsicht mittlerweile der bisherige LSC-Kapitän Tim Hartmann gemacht, vom dem der Verein ebenfalls meinte, ihn in der kommenden Saison nicht mehr gebrauchen zu können. Der 30-Jährige einigte sich mit den Longerichern zuerst auf eine sofortige Trennung, für die er „private Gründe“ angab. Auf der Suche nach einer interessanten Anschluss-Tätigkeit wurde der 30-Jährige im Übrigen schnell fündig: Tim Hartmann, der aus dem Oberbergischen stammende Wahl-Kölner, wird seine Tore ab der nächsten Saison für den Regionalligisten HC Gelpe/Strombach erzielen.
Im späten Herbst des Jahres 2017 hieß der Trainer der HSG Krefeld noch Olaf Mast, der dann nach der Hinrunde sein Amt aus zeitlichen und privaten Gründen niederlegte. Nachfolger wurde bis zum Sommer 2018 Dusko Bilanovic, der inzwischen für den Zweitligisten TSV Bayer Dormagen arbeitet. Auf Bilanovic folgte der Däne Ronny Rogawska, unter dessen Regie die Krefelder den Aufstieg in die 2. Bundesliga schafften – ehe es im Sommer 2019 aufgrund bis heute kaum zu durchschauender interner Diskrepanzen kurz vor dem Start in die Saison zur überraschenden Trennung kam. Die Amtszeit des auf die Schnelle verpflichteten Isländers Arnar Gunnarsson lief anschließend aber nur ein paar Monate, weil er im Dezember 2020 aufgrund ausbleibenden Erfolgs wieder gehen musste. Es übernahm der damalige Co-Trainer Felix Linden, aus dessen Hilfstätigkeit in den kommenden Wochen/Monaten eine Chefstelle wurde – für die Saison 2020/2021 entsprechend verlängert. Mast, Bilanovic, Rogawska, Gunnarsson, Linden, Pallach: Die Krefelder beschäftigen nun innerhalb von 39 Monaten bereits den sechsten obersten Coach. Das ist rekordverdächtig. Ob sich daraus Kontinuität ableiten lässt, steht auf einem anderen Blatt.
Die Entwicklung im „Fall Linden“ sieht definitiv ungewöhnlich aus. Vor gut einem halben Jahr sah es der Handball-Verrückte selbst im Gespräch mit harzhelden.news so: „Sie haben den Vertrag mit mir verlängert, obwohl ich als Trainer kein einziges Spiel gewonnen habe. Das ist nicht selbstverständlich. Ich freue mich sehr über das Vertrauen, dass mir die HSG schenkt.“ Die Verantwortlichen der HSG flochten ihm im April 2020 gleichzeitig Lorbeerkränze, die jedem Olympiasieger in der Antike gut zu Gesicht gestanden hätten. Beispiel eins lieferte der Sportliche Leiter Stefan Nippes: „Felix hat seine Sache in einer schwierigen Situation sehr gut gemacht. Er ist ein sehr talentierter Trainer, an dem ich vor allem anderen seine Akribie und Leidenschaft schätze. Obwohl er erst vor einem knappen Jahr zu uns kam, identifiziert er sich voll mit den Eagles und wir glauben, in ihm auch perspektivisch einen sehr guten Trainer zu haben.“ Beispiel zwei trägt Geschäftsführer André Schicks bei: „Felix hat uns nicht nur auf und an der Platte überzeugt. Er bringt auch in fast allen anderen Bereichen immer wieder frische Ideen und ist sehr interessiert und engagiert. Damit hilft er uns auf allen Ebenen sehr und bringt das Projekt Eagles als Ganzes voran, wofür ich sehr dankbar bin.“ Ein paar Monate später sind die damaligen Lobeshymnen offensichtlich nichts mehr wert. Und das sagen die Eagles in der vergangenen Woche nach der Trennung: „Die Entscheidung ist uns nicht leicht gefallen. Felix hat das Team in einer schwierigen Situation übernommen und uns in der vergangenen, aber auch dieser Saison sehr geholfen. Die aktuelle Situation mit der langen Pause und all den Einschränkungen durch die Pandemie ist für einen jungen Trainer in seiner ersten Profi-Station eine echte Herausforderung gewesen. Wir wollen darum neue Impulse setzen, um die Möglichkeit eines Wiederaufstiegs offen zu halten.“ Der Widerspruch ist derart offensichtlich, dass es keine Übersetzung braucht. Und dass die Krefelder ihrem entlassenen Ex womöglich anbieten wollen, im Bereich Nachwuchs/Unterbau für die 3. Liga mitzuarbeiten, können sie eigentlich nicht ernst meinen. Aber es ist ja Karneval.
Sehr ernst scheint es die HSG allerdings mit dem Versuch zu meinen, über die in Aussicht stehende freiwillige Aufstiegsrunde aller Drittligisten auf direktem Weg die Rückkehr in die 2. Bundesliga zu schaffen. Dazu passt jedenfalls die Verpflichtung des abwehrstarken Domagoj Srsen, der 2018/2019 noch für den Bundesligisten TSV Hannover-Burgdorf unterwegs und in der Serie darauf am Aufstieg des Wilhelmshavener HV in die 2. Bundesliga beteiligt war. Der 30-Jährige verfügt sogar Erfahrung über Erfahrung aus der Champions League (mit Zagreb) und trainiert bereits bei der HSG mit. Dass er schon bei seinem früheren Verein wieder mittrainiert, lässt sich über Benjamin Richter nicht sagen: Der Rückraumspieler bringt die aktuelle Saison beim Zweitligisten TSV Bayer Dormagen zu Ende, der ihn in den nächsten Wochen mit dem vollgepackten Programm sowieso dringend benötigt. Ab Sommer will Richter allerdings den Aufwand reduzieren und sich vor allem seiner weiteren beruflichen Zukunft widmen (Lehrer).
Was nicht nur in Dormagen und Köln die Spatzen von den Dächern pfeifen: Richter soll nach drei Jahren bei Bayer zu seinem vorherigen Klub zurückkehren. Zum Longericher SC. Mit dem er vor fast sechs Jahren den Sprung in die 3. Liga schaffte. Dort träfe er unter anderem wieder: Chris Stark, der seinerzeit der Trainer war, und Christian Born, seinerzeit Mitspieler. Nicht mehr träfe er wieder: Andreas Klisch, seinerzeit Co-Trainer und später zum Chef aufgerückt. Nicht mehr träfe er wieder: Tim Hartmann und Dennis Mestrum, seinerzeit ebenfalls Mitspieler und im künftigen Kader ohne Perspektive. Und ganz nebenbei: Ob Krefelder und Longericher inzwischen mit ihren Planungen schon durch sind? Wohl kaum.