03. Juni 2021 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Es ist das Duell der Enttäuschten und vermutlich wird einer der beiden Hauptdarsteller danach weiter mit sich oder der gesamten Handball-Welt hadern. Noch etwas steht fest, wenn es um die Verteilung von Druck geht: Weil der VfL Gummersbach in der „Mission Aufstieg“ sein Ziel für die Saison ziemlich hoch festgelegt hat, muss er am Freitagabend (19 Uhr) in der Schwalbe-Arena noch eher liefern als der TSV Bayer Dormagen. Der kassierte zwar jetzt mit dem 27:35 beim TV Großwallstadt und dem 25:27 gegen den Wilhelmshavener HV zwei bittere Niederlagen, liegt allerdings auf Rang fünf unverändert im eigenen Zielkorridor (sicherer einstelliger Tabellenplatz). Deutlich schmerzhafter war das Gummersbacher 27:35 vor knapp einer Woche im Spitzenspiel beim Aufstiegs-Konkurrenten TuS N-Lübbecke. Daraus folgt: Um die geringer gewordenen Aussichten zu wahren, am Ende mit in den Fahrstuhl nach oben einzusteigen, sind Punktverluste ab jetzt komplett verboten – kompletter als vorher schon. Selbst ein 24:24, mit dem beide Seiten am 30. Dezember das Handball-Jahr 2020 beendeten, würde den VfL diesmal hart treffen. Trainer Dusko Bilanovic und die Dormagener könnten dagegen mit einem ähnlichen Resultat prima leben – was es in der Herangehensweise wohl etwas einfacher macht.
An jenem Silvesterabend führte bereits der aktuelle Erste Handball Sport Verein Hamburg die Tabelle an, aber mit 26:4 Zählern lag er nur wegen eines mehr ausgetragenen Spiels vor den Gummersbachern, die bei 25:3 Punkten geführt wurden. Auf Rang drei folgte der TuS N-Lübbecke (20:8), der sich damals irgendwie vornehmen zurückzuhalten schien. Fünf Monate darauf liegen diese drei Top-Teams noch enger als seinerzeit beisammen: Hinter den Hamburgern (50:12) haben allerdings Nettelstedt (50:14) und Gummersbach (47:15) die Positionen getauscht. In einer lediglich für 2022 ausgerechneten Tabelle führt der TuS (30:6) vor dem HSV (24:8), während Gummersbach wiederum Dritter ist. Die Bilanz von 22:12 Punkten aus 17 Partien belegt in Zahlen sehr eindrucksvoll, dass sich der VfL das Leben in erster Linie selbst schwer gemacht hat – weil sechs Niederlagen des „Guten“ zu viel sind. Und als durch fünf Siege hintereinander zwischen dem 21. April und 20. Mai die schwierigste Phase der Saison überstanden zu sein schien, passierte dieses 27:35 in Nettelstedt – das im Jahr 2020 lediglich zwei Niederlagen hinnehmen musste und darüber hinaus 14 Siege sowie zwei Unentschieden verzeichnete.
Der VfL will vor allem Wiedergutmachung betreiben, weil am Ende nicht alles mit einer zu hohen Anspannung oder der frühen Verletzung von Timm Schneider bereits in der zweiten Minute zu erklären war. Der Kapitän kehrte nach längerer Behandlung vor der Pause aufs Feld zurück, konnte jedoch die Pleite auch nicht verhindern – weil zu viele Rädchen im Getriebe diesmal eher schlecht oder gar nicht griffen. Ob Schneider, der schon während der Partie und danach unter Kopfschmerzen litt, das Team gegen Dormagen überhaupt aufs Feld führen darf, entscheiden die Ärzte bei einer Nach-Untersuchung am Freitag-Vormittag. Schneider will unbedingt spielen, doch die Mediziner müssen erst grünes Licht geben. Keeper Matthias Puhle, der nach überragenden Vorstellungen in den Wochen zuvor gegen Nettelstedt ebenfalls nicht den besten Tag erwischt hatte, stellt trotzdem die Grundforderung aus Sicht der Gummersbacher auf: „Wir werden wieder unsere Hausaufgaben machen und alles geben. Zwar haben wir es jetzt nicht mehr selbst in der Hand, wollen aber die letzten Spiele gewinnen, sodass wir bereit sind, falls Hamburg oder Nettelstedt straucheln.“ Dass er im Tor zur gewohnten Stärke zurückfindet, gilt dabei als extrem wahrscheinlich: Puhle ist in der offiziellen HBL-Statistik noch immer der beste Keeper der 2. Bundesliga (Quote gehaltener Bälle bei 35,94 Prozent) und er hat einen sehr hohen Anspruch an sich selbst – jetzt erst recht. Die Möglichkeit, beim Schluss-Akkord einer Karriere als Profi in der 1. und 2. Bundesliga an einem Aufstieg beteiligt zu sein, würde er erst dann abhaken, falls rechnerisch gar nichts mehr geht. Vorerst lebt ja der Traum noch, den seit Monaten feststehenden Wechsel zum Regionalligisten OSC Rheinhausen als Bundesliga-Rückkehrer zu vollziehen.
Bei den Dormagenern scheinen sich auf der Zielgeraden der Saison die Akkus nicht mehr richtig aufladen zu lassen. Am 21. Mai gewann der immer wieder zum personellen Improvisieren gezwungene TSV beim VfL Lübeck-Schwartau schwungvoll mit 32:27, doch es war fast wie das letzte besonders helle Aufflackern einer Taschenlampe mit einer fast entleerten Batterie. Beim TV Großwallstadt konnte Bilanovic‘ Mannschaft besonders in der ersten Halbzeit (9:18) nicht mithalten und anschließend rannte sie im Heimspiel gegen gefährdete Wilhelmshavener nach einem Fehlstart in die zweite Halbzeit (vom 12:12 zum 13:17) immer einem relativ klaren Rückstand hinterher – vergebens. Der Coach nimmt seine Spieler in Schutz: „Ich kann den Jungs keinen Vorwurf machen. Die Leistungsträger sind zuletzt immer an ihre Grenzen gegangen. Und Spieler wie Alex Senden oder André Meuser, die aus einer Verletzung kommen, brauchen Zeit.“ Die zu hohe Zahl an falschen Entscheidungen oder technischen Fehlern wollen die Dormagener dennoch wieder auf das gewohnte und damit ein erträgliches Maß reduzieren – um in Gummersbach einen guten Eindruck zu hinterlassen und allgemein die Saison ordentlich zu Ende zu bringen. „Wir schmeißen doch nicht alles weg, was wir uns aufgebaut haben“, betont Bilanovic, „wir werden in den letzten fünf Spielen volle Pulle Gas geben.“ Der letzte Punkt vor allem dürfte sich genau mit den Gummersbachern Plänen decken – und beides zusammen kaum funktionieren. Im Duell der Enttäuschten kann es wohl nur einen Sieger geben.