Regionalliga Nordrhein
Nach dem Aufstieg: Dormagen II will erwachsener werden
Trainer Martin Berger und sein noch immer junges Team betreten Neuland - und sie freuen sich drauf.

So machen wir das! Auch der 17 Jahre alte Felix Böckenholt (Nummer 17) und der 19 Jahre alte Luis Pauli (50) gehörten in der vergangenen Saison zur Abteilung „Jugend forscht“ von Martin Berger (Mitte). Bayers Trainer ist davon überzeugt, dass die Dormagener in der Regionalliga bestehen können. (Foto: Michael Jäger)

Es war ein Tanz auf mehreren Hochzeiten und so etwas geht ja oft genug schief. Man nehme eine beträchtliche Anzahl an Spielern, die in der A-Jugend-Bundesliga unterwegs sind, und mute ihnen dann weitere Einsätze als Aushilfen in der ersten Mannschaft sowie als Stammkräfte in der zweiten Mannschaft zu. Die Idee, das so zu machen, hatten die Dormagener bereits im Sommer 2021, als sie dem ein Jahr zuvor von der TSV Bonn rrh. gekommenen und bereits für den ältesten Nachwuchs zuständigen David Röhrig (32) zweck besserer Planung zusätzlich das Oberliga-Team an die Hand gaben. Röhrig selbst, inzwischen als Chefcoach beim Zweitligisten VfL Lübeck-Schwartau unter Vertrag, machte damals sehr früh klar, dass es ein sehr ambitioniertes Unternehmen sei – angesichts der hohen Belastung für die Spieler ohne Garantie auf den erhofften Erfolg und angesichts der starken Konkurrenz ohne den Aufstieg als Pflicht. Am Ende war es eine Zentimeter-Entscheidung: Die Zweite des TSV Bayer verpasste den Sprung in die Regionalliga am 21. Mai 2022 durch die 30:33-Niederlage im letzten Spiel der Aufstiegsrunde gegen die HSG Refrath/Hand. Pech für Röhrig seinerzeit: Er fehlte erkrankt, konnte keinen direkten Einfluss auf die Dinge nehmen und musste zu Hause registrieren, dass Dormagen selbst durch alle zulässigen Verstärkungen aus der 2. Bundesliga letztlich an Refrath scheiterte. Röhrig-Nachfolger Martin Berger (30), vor seinem Engagement in Dormagen einige Jahre als Trainer im Nachwuchsbereich der Füchse Berlin tätig und anschließend auf Handball-Weltreise, stand vor demselben Themenfeld – und er trat am Anfang ebenfalls auf die Bremse: „Das ist eine Herausforderung.“ Dass der TSV Bayer die Prüfung diesmal und am Ende der Serie 2022/2023 klar vor der Konkurrenz bestand und den Aufstieg in die Regionalliga schaffte, ließ sich dabei am Anfang tatsächlich nicht absehen – nicht mal ansatzweise.

Dormagen wackelte sich vielmehr durch die Aufgaben – und das 22:32 am zweiten Spieltag beim Hinrunden-Seriensieger SSV Nümbrecht war ein besonders heftiger Schuss vor den Bug. Drei Wochen später gab es beim TV Rheinbach ein letztlich sogar glücklich erzieltes 33:33 mit dem Ausgleich 15 Sekunden vor dem Ende. Mit 7:3 Punkten lag Bergers Team nun bereits drei Zähler hinter Nümbrecht, das seine ersten 13 Partien mit einer weißen Weste überstand. Während der SSV jedoch sein Niveau nicht zu halten vermochte, sammelte der TSV Bayer zunächst acht Mal in Folge beide Zähler und nach dem 31:31 bei der HSG Siebengebirge gab es früh in der Rückrunde ein 32:32 gegen Nümbrecht. Weil die junge Mannschaft nun selbst ein paar enge Duelle für sich entschied (30:29 beim ASV SR Aachen, 31:28 beim SC Fortuna Köln), bekam sie bereits vier Runden vor Schluss die Gelegenheit zur Entscheidung – und löste durchs 31:22 über den Pulheimer SC vorzeitig die Fahrkarte für die Regionalliga. Auf der Zielgeraden gab Dormagen später mit dem überraschenden 34:37 beim HC Weiden II und dem 33:33 gegen den Vizemeister Siebengebirge drei Zähler ab, doch der Abstand zu den Verfolgern war unter dem Strich relativ weit: Der TSV Bayer, der als einziger Oberligist im Angriff mit 1012 Toren vierstellig traf (Durchschnitt 33,73 Tore pro Partie), sicherte sich mit 52:8 Punkten verdient die Meisterschaft vor der HSG Siebengebirge (47:13), dem SSV Nümbrecht und dem Longericher SC II (beide 41:19).

Einer der wichtigsten Neuzugänge dürfte Rückkehrer Carlos Marquis sein, der einst in der Dormagener A-Jugend unterwegs war, ehe er über die HSG Krefeld Niederrhein den Weg zum Zweitligisten HSG Konstanz fand, dort wegen einer Sprunggelenks-Verletzung kein einziges Spiel absolvieren konnte und nun vom Drittliga-Team des Bundesliga-Absteiger ASV Hamm-Westfalen zurück nach Dormagen wechselt. Der Spielmacher wird in ein paar Tagen erst 22 Jahre alt und bringt trotzdem bereits einiges an Senioren-Erfahrung mit. „Wir haben genügend Herren-Spieler“, findet Berger, „wir wollen weiter Gas geben.“ Seine erste Aufgabe bleibt es dabei, die Schnittstelle zwischen Talenten und Zweitliga-Mannschaft mit Leben zu füllen – und im Idealfall wieder den einen oder anderen nach oben zu „verlieren“. So war es in der jüngeren Vergangenheit in Dormagen unter anderem mit Kreisläufer Aron Seesing (20), der ab der kommenden Saison für den Bundesligisten Bergischer HC aufläuft, mit Rückraumspieler Sören Steinhaus (19), der gerade mit der deutschen Nationalmannschaft U 21 versucht, beim WM-Heimturnier die Goldmedaille zu gewinnen, und mit Seesing-Nachfolger Jan-Christian Schmidt (18), der bereits in der vergangenen Saison immer wieder im Zweitliga-Team von Trainer Matthias Flohr zum Einsatz kam und nun zusammen mit Kapitän Patrick Hüter erste Wahl auf der Kreisläufer-Position ist.

Die Dormagener betreten mit ihrem Unterbau eindeutig Neuland – was besonders Martin Berger zutrifft, der sich als Berliner und Reisender in Sachen Handball erst mit den Dingen im Rheinland vertraut machen musste – und noch immer muss: „Ich kenne die vierte Liga nicht, ich bin ja erst im zweiten Jahr hier.“ Natürlich hat er trotzdem bereits Infos über den einen oder anderen der neuen Gegner, sodass in einer ersten Einschätzung das Ziel für die Ende August beginnende Serie bereits feststeht. „Knallhart geht es für uns um den Klassenerhalt“, findet Berger, „wir haben eine höhere Dichte an Spielen, wo wir nicht in der Favoritenrolle sind. Wir müssen uns reinarbeiten.“ Entsprechende Durchführungsbestimmungen des Verbandes liegen zwar bislang nicht vor, aber es darf als extrem unwahrscheinlich gelten, dass am Ende der Serie 2023/2024 erneut nur eine Mannschaft die Regionalliga wird verlassen müssen. Im vergangenen Mai war es lediglich der Neusser HV, den es erwischte – und mit 5:47 Punkten auch weit hinter dem Vorletzten MTV Rheinwacht Dinslaken (15:37). Manches spricht dafür, dass die Regionalliga 2023/2024 in der unteren Hälfte enger zusammenliegen dürfte als zuletzt – als alle Teams ab Rang sechs das Jahr mit einem negativen Punktekonto abschlossen und dennoch überwiegend wenig mit dem Kampf um den Klassenerhalt zu tun hatten.

Das Auftaktprogramm könnte dabei einigermaßen schnell klären, wo sich die Dormagener einzuordnen haben. Ihr Abenteuer Regionalliga beginnt am 26. August bei der HG Remscheid, die als Fünfter mit dem HC Gelpe/Strombach (Dritter) und dem OSC Rheinhausen (Vierter) das Trio direkt hinter den Top-Klubs Interaktiv.Handball (Meister) und TV Korschenbroich (Vizemeister) bildete. Am 2. September kommt der TVK zum ersten TSV-Heimspiel ins Sportcenter, ehe am 10. September die Aufgabe in Dinslaken wartet – traditionsgemäß zur bei der Konkurrenz nicht besonders beliebten Anwurfzeit um 11.15 Uhr an einem Sonntag. Es folgen die Spiele am 16. September gegen Rheinhausen, am 23. September bei der TSV Bonn rrh. (Neunter) und am 30. September gegen den Mit-Aufsteiger Borussia Mönchengladbach (Meister der Oberliga Niederrhein). Das ist in der Summe eine durchaus spannende Mischung mit echten Herausforderungen – und auch mit der einen oder anderen Partie, in der Dormagen für die eigene Sicherheit punkten sollte. Martin Berger erwartet insgesamt nach dem ersten Jahr beim TSV Bayer auch für sich selbst einen weiteren Schritt nach vorne: „So langsam bin ich wirklich angekommen, so langsam greifen die Mechanismen.“ Was ihm in Dormagen sehr gefällt, ist die „unglaublich harmonische Arbeits-Atmosphäre“ unter anderem mit Zweitliga-Coach Matthias Flohr und mit Nachwuchs-Koordinator Dennis Horn. Was ihm vermutlich noch besser gefallen würde: Dass sich Dormagen in der höheren Klasse direkt den Respekt der etablierten Regionalligisten erarbeitet. Und ganz nebenbei wird der eine oder andere aus seinem Kader ja doch wieder auf mehreren Hochzeiten tanzen.