Harzheld 2022
Euer Harzheld 2022: Tim Gentges
Der spielende Trainer des Drittliga-Aufsteigers TV Aldekerk liebt und lebt den Handball sehr intensiv.

Bravo! Tim Gentges, euer Harzheld 2022, applaudiert sich aber nicht selbst, sondern seiner Mannschaft – mit der er zurzeit ein perfektes Team bildet. (Foto: Thomas Schmidt)

Er ist der spielende Stratege. Einer, der Leidenschaft und Liebe zum Handball mit penibler Vorbereitung und Einstellung auf den Gegner verbindet. Das hat sich in den vergangenen Monaten und jetzt auch bei der Wahl zum Harzhelden des Jahres 2022 bemerkbar gemacht: Diese Eigenschaften stehen bei euch hoch im Kurs – so hoch, dass am Ende für die drei anderen Kandidaten doch kein Weg an Tim Gentges vorbeiführte. Der spielende Trainer des Drittliga-Aufsteigers TV Aldekerk versammelte nach einem am Anfang offenen Rennen die meisten Stimmen auf sich. Und es besteht kein Zweifel daran: Der Rückraumspieler, der nicht 35 Jahre alt, sondern 35 Jahre jung ist, darf als würdiger Nachfolger für die ersten Harzhelden gelten – für Axel Sierau, Torhüterlegende und Gewinner von 2019, für Birger Dittmer (TuS 82 Opladen) und Olaf Mast (damals Sportlicher Leiter beim OSC Rheinhausen), die sich 2020 den geteilten Titel in den Kategorien auf und neben der Platte sicherten, und für Christopher Wolf, der 2021 als Spieler des Drittligisten Longericher SC einen ungewöhnlichen Ausflug zu TuSEM Essen in die Bundesliga unternahm. Ungewöhnlich ist zudem, wie Tim Gentges den Handball lebt – der sich im Übrigen nicht für etwas Besseres hält, sondern für seine „Gegenkandidaten“ Manfred Hoffmann (steht mit 57 noch im Tor des Mittelrhein-Oberligisten SC Fortuna Köln), Peer Pütz (Co-Trainer des Bundesligisten Bergischer HC sowie Interims-Aushilfsspieler des Drittligisten TuS 82 Opladen) und Lukas Martin Schulz (Top-Torjäger des Drittligisten Longericher SC) vor allem jede Menge Respekt übrig hat.

Im Hauptberuf ist Gentges – wie auf dem Feld als Regisseur – ebenfalls als Hüter der Ordnung tätig. Der in Duisburg tätige Polizist, dessen oberster Dienstherr das Land Nordrhein-Westfalen ist, gehört einer Fortbildungsstelle an, in der er sich um die Weitergabe von vertiefenden Kenntnissen in allen Bereichen des Polizeidienstes kümmert. Das erlaubt ihm, anders als der Streifendienst vergangener Jahre, viele Dinge flexibler zu handhaben. Gentges weiß dies zu schätzen: „Ich bin dankbar dafür, dass das möglich ist.“ Was für den TV Aldekerk in dieser Saison noch möglich ist? Die Bäume, so wissen alle, wachsen nicht in einen endlos hohen Himmel und der Weg bis zum Klassenerhalt ist nach wie vor weit – obwohl der TVA als Sechster mit 17:15 Punkten mindestens im Soll liegt oder sogar ein kleines bisschen darüber. Der Aldekerker Coach macht eine ziemlich einfache Rechnung auf: „Wenn du drinbleiben willst, muss eine 2 vorne stehen.“ Das heißt in der Übersetzung einfach, dass unter dem Strich am besten mehr als 20 Punkte auf dem Konto zu finden sein sollten, damit eine Mannschaft in der Endabrechnung eben über dem Strich steht. Angesichts der Tatsache, dass sich der eine oder andere Konkurrent deutlich besser in der 3. Liga auskennt, dürfte die Bodenhaftung des Aufsteigers sogar ein weiteres Plus sein. Wer von Anfang an davon ausgeht, dass er bis zum Schluss oder jedenfalls ziemlich lange wird kämpfen müssen, kann jedenfalls keine böse Überraschung erleben.

Tim Gentges hat wenig Probleme damit, am Anfang einer Partie draußen an der Seitenlinie zu verbringen, um die Aktionen des Teams von dort aus zu begleiten – zusammen mit seinem Co-Trainer Frank Fünders, auf dessen Wissen und Erfahrung er seit dem ersten Tag der „Amts-Übernahme“ nicht verzichten mag. Es ist ja auch eine jener Verbindungen, die sich über die Jahre hinweg aufgebaut haben: Beide sind Aldekerker Urgesteine und vertrauen einander grundsätzlich blind. „Er hat die Herren trainiert, als ich sein Knirps war“, hat Gentges mal erzählt. Und heute nimmt er die Fünders‘ Ratschläge jederzeit gerne an: „Ich bitte sogar darum.“ Der gemeinsame Erfolg der beiden Nachfolger des Aufstiegstrainers Nils Wallrath gibt ihnen Recht: Die Arbeitsteilung und der Austausch funktionieren – was gerade dann wichtig wird, wenn Gentges selbst für einen etwas längeren Zeitraum auf der Platte steht. Das kommt ja durchaus vor – wie erst am vergangenen Wochenende, als Aldekerk vom ASV Hamm-Westfalen II einen ebenso überraschenden wie deutlichen 34:25-Sieg mitnahm. Tim Gentges steuerte insgesamt vier Trefferbei – drei vor der Pause, einen danach.

Volle Kraft voraus: Das Motto bleibt, aber Tim Gentges will nach dieser Saison in Aldekerk vom spielenden Trainer zum Nur-Trainer werden. (Foto: Herbert Mölleken)

Die Rolle des Haupttorschützen strebt der Spielertrainer allerdings nicht an – und sie ist zurzeit ohnehin an Julian Mumme vergeben, der mit 86 Treffern aus 16 Spielen die Nummer sieben unter den erfolgreichsten Werfern der 3. Liga West ist. Rang zwei in der internen Wertung nimmt Thomas Plhak ein, der in 15 Spielen auf 68 Tore kommt (19 davon per Siebenmeter) und 20. in der Gesamtwertung ist. Tim Gentges ist in der internen Reihenfolge mit 16 Spielen und 36 Treffern nur Rang sieben unter allen Aldekerker Torschützen zu finden – und unter allen Spielern in der 3. Liga West folgt er erst auf Platz 78. Dass diese Sortierung intern keine wirklich große Rolle einnimmt, gehört zu den Grundlagen für den Erfolg der Aldekerker, sowohl für den Aufstieg aus der Regionalliga in die 3. Liga als auch für das bisherige gute Abschneiden dort. „Uns zeichnet unsere Mentalität aus“, betont Gentges, „und uns zeichnet unser Zusammenhalt auch außerhalb des Platzes aus. Wir sind eine Mannschaft und so kannst du mehr erreichen.“ Klar: Diese Mannschaft wird nun zunächst die angegriffenen Akkus aufladen – und sich anschließend intensiv auf die Fortsetzung der Meisterschaft ab dem 14. Januar vorbereiten. Dort geht es mit der Aufgabe gegen die Ahlener SG los (Siebter/ebenfalls 17:15 Punkte), ehe die noch wichtigeren Partien  am 21. Januar beim VfL Gladbeck (Elfter/11:21), am 28. Januar gegen den TSV GWD Minden II (Letzter/5:27) und am 4. Februar beim Team Handball Lippe II (Zwölfter/10:22) anstehen. Alle drei sind direkte Mitbewerber im Kampf um den Klassenerhalt – und falls der TVA dieses Paket einigermaßen erfolgreich hinter sich bringt, könnte er den Blick bereits intensiver auf die Saison 2023/2024 richten.

Das hat Tim Gentges für sich persönlich bereits getan und daraus eine Idee entwickelt – an deren Folgen sich manche wohl erst gewöhnen müssen: „Es ist geplant, dass ich zur nächsten Saison nur noch Trainer sein werde und nicht mehr Spieler.“ Mit dem Rückzug ins passive  handballerische Rentnerdasein hat die Entscheidung allerdings wenig zu tun und sie würde auch gar nicht zu ihm passen. „Ich werde mich fithalten und ich werde mittrainieren“, betont Gentges. Daraus folgt, dass er zur Not jederzeit wieder aktiv einspringen könnte – wobei ihm lieber wäre, dass jener Fall mit zu vielen Ausfällen gar nicht erst eintreten möge. Dass euer Harzheld 2022 den Ball tatsächlich nach dieser Serie in die Ecke legt und eine ebenso lange wie erfolgreiche Spielerkarriere beendet, hat er sich gut überlegt. Was die Aldekerker trösten wird: Leidenschaft und Liebe zum Handball sowie penible Vorbereitung und Einstellung auf den Gegner bleiben ihnen ja erhalten.