Harzheld 2021
Euer Harzheld 2021: Christopher Wolf
Der Abwehrspezialist des Longericher SC wurde im Frühjahr plötzlich Bundesliga-Spieler in Essen.

Alles Gute! Christoper Wolf (hinten, Nummer 38) war in Essen nicht nur eine Randfigur, sondern immer mittendrin. Trainer Jamal Naji (daneben) und die Mannschaft bereiteten ihm entsprechend einen von vielen Emotionen begleiteten Abschied. (Foto: Thomas Schmidt)

Flexibel muss der Handballer sein. Außerdem darf er keine Angst vor Überraschungen haben. Beides trifft auf euren Harzhelden des Jahres 2021 zu. Und vorab vielen Dank dafür, dass ihr euch so intensiv beteiligt habt, einen Nachfolger zu finden für Torhüter-Legende Axel Sierau, der mit 51 immer noch und unermüdlich zwischen den Pfosten steht (beim TK Nippes in der Oberliga Mittelrhein) und 2019 die Auszeichnung gewann, sowie für Birger Dittmer, der gerade mit dem Drittligisten TuS 82 Opladen eine großartige Saison spielt, und Olaf Mast, den einstigen Champions-League-Teilnehmer (THW Kiel), der inzwischen bei seinem Heimatverein OSC Rheinhausen in der Regionalliga als Sportlicher Leiter den Lauf der Dinge mitbestimmt. Dittmer/Mast hatten 2020 den Titel geteilt – in den Kategorien mit und ohne Harz, also auf der Platte und daneben. Was bei der dritten Auflage genauso war wie bei der ersten und zweiten: Es ging spannend zu, das Rennen blieb lange offen. Am Ende hatte dann Christopher Wolf vom Drittligisten Longericher SC die Nase vorne – was ihn selbst am meisten verblüffte: „Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich gegen die anderen drei Kandidaten durchsetzen kann. Sie machen alle einen super Job.“ Widersprechen wird ihm niemand. Die anderen waren/sind: Der Korschenbroicher Simon Gorholt, der zurzeit ein Jahr Freiwilligen-Dienst in Kenia erlebt und sich dort unter ganz besonderen Bedingungen für den Handball einsetzt, Fabrice Voigt, der seit Jahren als Trainer maßgeblich am bemerkenswerten Aufschwung der Opladener beteiligt ist, und David Röhrig, der als Trainer beim TSV Bayer Dormagen (A-Jugend, Oberliga-Herren) so sehr auf sich aufmerksam gemacht hat, dass er ab der kommenden Saison den Zweitligisten VfL Lübeck-Schwartau übernimmt.

Wolfs Geschichte ist ebenfalls eine ganz besondere und sie begann Anfang März, als der Handball in der Saison 2020/2021 unter anderem für die Drittligisten coronabedingt seit Langem auf Eis lag und Christopher Wolf damit sportlich irgendwie zu Hause auf der Couch. Dann ereilte ihn der Anruf von Jamal Naji, der Wolf von früher kannte und als Trainer beim Bundesligsten TuSEM Essen in personeller Not nach einer Lösung suchte. Also nahm Naji Kontakt zu Wolf auf, der natürlich vor Überraschung fast von jener Couch fiel – und sich trotzdem sofort auf den „Handel“ einließ, den Essenern als Abwehr-Spezialist für die acht nach den HBL-Regularien erlaubten Spiele auszuhelfen. Der Terminplan  meinte es sogar gut mit Christopher Wolf, denn er kam in den Genuss, sich mit Weltklasse-Leuten unter anderem in Partien gegen den THW Kiel und die SG Flensburg-Handewitt zu messen. Der Kölner war sehr dankbar, diese Chance nutzen zu dürfen – und er wird die Eindrücke aus dieser Zeit nicht vergessen. Die Wertschätzung fürs Abenteuer Essen beruhte im Übrigen ganz auf Gegenseitigkeit, wie die vielen Umarmungen und der herzliche Abschied in der Halle Am Hallo eindrucksvoll zeigten. Fazit: Es war eine geile Zeit.

Du bleibst hier! Christopher Wolf (links) hatte bei seinem Bundesliga-Abenteur keine Berührungsängste – auch nicht in Duellen mit prominenten Kontrahenten wie Patrick Wiencek, dem Nationalspieler des THW Kiel. (Foto: Thomas Schmidt)

Ob es an Wolfs Ausflug in die größere Handball-Welt liegt, dass die Longericher seit Wochen die 3. Liga aufmischen? Er selbst will davon nichts wissen, weil er sich trotz der unbezahlbaren Erfahrung weiter als Teamplayer sieht und seine Fähigkeiten immer in den Dienst der Mannschaft stellt. Tatsache ist, dass der LSC nach einem eher schwierigen Start in die Saison mittlerweile mit neun Siegen hintereinander bei 20:8 Punkten und auf dem vierten Tabellenplatz angekommen ist. Das heißt: Die HSG Krefeld Niederrhein und die SG Schalksmühle-Halver Dragons (beide 24:4) sowie der Überraschungs-Dritte TuS 82 Opladen (26:6) sind durchaus in Sicht- und Reichweite. Und selbstverständlich streben die Longericher nun nach mehr: Falls es zum zweiten Platz und der Teilnahme an der Aufstiegsrunde reicht, hätte keiner was dagegen. „Das ist unsere Anspruch“, betont Wolf, der allen Kontrahenten mit dem höchsten Respekt begegnet und besonders vor den Opladenern den Hut zieht: „Die spielen eine überragende Saison und sie haben auch ein super Team. Es zeigt, was du erreichen kannst, wenn du einmal in einen Flow kommst.“ Ob die 2. Bundesliga wirklich ein Thema für die Longericher sein könnte, ist nicht nur nach Wolfs Ansicht eine ganz andere und nicht von den Spielern zu beantwortende Frage.

Christopher Wolf ist mittlerweile zu dem geworden, was die Bezeichnung „Abwehrspezialist“ trägt. Und er hat kein Problem damit, so auf die eine Hälfte des Handballs festgelegt zu sein – im Gegenteil. „Angriffsspiel macht der Körper nicht mehr richtig mit“, berichtet der 29-Jährige, der allenfalls sporadisch vorne zum Einsatz kommt und die Versuche dort am liebsten lässt. Ganz „nebenbei“ verfolgt der Handballer aus Leidenschaft, der zurzeit mit dem gewohnten Einsatz für einen Trockenbauer/Fliesenleger arbeitet, seinen persönlichen Traum: „Ich will zur Feuerwehr.“ Sollte der Plan funktionieren und Christopher Wolf das Bewerbungsverfahren erfolgreich hinter sich bringen, könnte es mit der Ausbildung wohl im Herbst 2022 losgehen. Flexibel, belastbar, teamfähig, einsatzfreudig muss er dann sein. Das ist euer Harzheld des Jahres 2021 doch sowieso.